Wochenimpuls

Impuls der Woche von Kardinal Woelki - Wer die Wahl hat ...

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Wie Millionen andere auch, habe ich den Brief mit der Benachrichtigung zur Wahl des Deutschen Bundestages erhalten. Natürlich gehe ich wählen. Für mich ist der Gang zur Urne selbstverständlich und wichtig. Er liegt mir am Herzen, denn wählen heißt: Mitgestalten - unser Land, unsere Zukunft, die Werte, die uns wichtig sind. Neben der berechtigten Angst vieler über die wirtschaftliche Entwicklung und die steigenden Lebenshaltungskosten wird unsere Gesellschaft aber auch daran gemessen, wie sie mit den besonders Verletzlichen umgeht: Mit den Kranken, den Obdachlosen, den Armen … und den Menschen auf der Flucht. Diskussionen und Debatten um die richtige Lösung - gerade auch in diesen wichtigen Themenfeldern - gehören zu unserer freiheitlichen Demokratie dazu. Das ist manchmal sehr anstrengend, sich mit den Meinungen und ich will es offen sagen - auch Ideologien - der anderen auseinanderzusetzen. Aber das gemeinsame Ringen um gute Argumente führt zu den besten Lösungen für alle. Wir Christen haben dafür so etwas wie einen Kompass: das Evangelium. Eine ganze Wissenschaft hat sich darum entwickelt: Die christliche Soziallehre, die uns politische Strömungen, Parteien und Meinungen einzuordnen hilft. Welche Politik entspricht der Würde des Menschen am ehesten? Wird die Eigenständigkeit der menschlichen Person geschützt und gefördert? Dienen die konkurrierenden politischen Parteiprogramme dem Gemeinwohl? Helfen sie, jedem Individuum bei der Entfaltung eines menschenwürdigen Lebens beizustehen und beschützen sie Gruppen und Gemeinschaften in deren Eigenrechten? Geraten die Armen, die Schwachen - auch diejenigen, die zu Beginn und am Ende des menschlichen Lebens besonders gefährdet sind - und die, die am Rande der Gesellschaft stehen, aus dem Blick? Welche Partei vertritt unsere Anliegen am ehesten? Das finden Sie schwierig? Ich auch. Extrem schwierig sogar. Ich empfinde diese Entscheidung schon seit langem nicht mehr so anstrengend wie in diesem Jahr. Aber Demokratie ist eben anstrengend. Und das ist auch gut so. Bringen Sie heute bitte Ihre Argumente durch Ihre Stimme in die Wahl mit ein. Wir Christen haben die Pflicht, für unsere Sicht einzustehen. Wir haben die Aufgabe, die Gesellschaft mitzugestalten und zu wählen - und zwar die Politiker, die die Inhalte der Frohen Botschaft Jesu sowie die damit verbundenen Implikationen des christlichen Menschenbildes am besten umzusetzen in der Lage sind. Gerade, wenn es um gute Argumente geht, müssen auch wir für Unruhe sorgen und die unseren in die Debatte darüber einbringen. Ich kann und will Ihnen Ihre Wahl nicht abnehmen. Aber ich bitte Sie: Gehen Sie hin und wählen Sie. 

Ihr Rainer Woelki

Erzbischof von Köln

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