Wochenimpuls

Jesus in der Rast

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Vor einigen Tagen erhielt ich - völlig überraschend - diese kleine, schlichte Holzfigur geschenkt. Sie zeigt Jesus in der Zeit zwischen seiner Krönung mit dem Dornenkranz und seiner Kreuzigung. In der Volksfrömmigkeit trägt diese Figur den Namen: Christus in der Rast. Da sitzt der Herr auf einem Baumstumpf oder einem Stein. Er ist nur mit einem Lendentuch bekleidet. Den Kopf in seine Hand gestützt, sinnt er über Leid und Leiden nach. Am liebsten möchte man sich zu ihm setzen und fragen, warum es überhaupt in der Welt so viel Leid und Elend gibt. Warum solch menschenverachtenden Kriege? Warum so viele Krankheiten? Warum der plötzliche Tod eines geliebten Menschen, diese persönlichen Schicksalsschläge, die das Leben zur Hölle machen? 

Für mich ist in solchen Situationen nicht die Frage, ob es Gott gibt, das Hauptproblem, sondern ob dieser Gott die Menschen überhaupt liebt. Warum scheint er in seiner Anwesenheit so abwesend? Es scheint keine einfache Antwort darauf zu geben. "Das Christentum ist keine Lämmleinweide auf himmelblauer Wiese", schreibt der von den Nazis hingerichtete Alfred Delp einmal. Der Tag muss erst noch kommen, wo der Herr alle Tränen abwischen wird. Die endgültige Zukunft des Heils steht noch bevor. 

Diese Zukunft kann nicht mit Lehrsätzen beschrieben werden. Vielleicht haben wir die Gebete und Lieder der Sehnsucht zu wenig gebetet und gesungen, weil wir uns mit dem Angeld zufriedengegeben haben, das wir vorerst erhalten und das manches in der Welt zum Besseren brachte, ohne auf den endgültigen Tag des Herrn zu hoffen, an dem wirklich alles gut wird und jedes Leid aufhört. Bis dahin wird uns Lebenden wohl immer der Todesschrei Jesu zu schaffen machen: „Gott, warum hast du mich verlassen?“ Mir helfen hier Verse des Schriftstellers und Dichters Reinhold Schneider: "Wer Christi Tod erlitten, wird mit ihm auferstehen. Wo er hindurchgeschritten, da wage ich`s zu gehen". Diesen Mut und diese Hoffnung wünsche ich auch uns in diesen Tagen unserer gegenwärtigen Bedrängnis. 

Ihr Rainer Woelki
Erzbischof von Köln

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