Selten wird unser christlicher Glaube an ein Weiterleben nach dem Tod so hart auf die Probe gestellt wie an einem offenen Grab. Wenn der Schmerz so überwältigend ist. Wenn sich die Trennung von dem geliebten Menschen auf einmal so endgültig, so unwiderruflich zeigt. Besonders wenn sie plötzlich und unverhofft daherkommt. Kein Wort des Abschieds, der Versöhnung, der Wertschätzung, der Liebe gesagt werden konnte.
Einen meiner Bekannten hat es besonders hart getroffen: Er glaubte, den Krebs überwunden zu haben, galt sogar schon als geheilt. Und dann schlug er doch zu - der Krebs. Nur an anderer Stelle. Innerhalb kürzester Zeit verstarb er. Die letzten Wochen waren fürchterlich für ihn und die Angehörigen. Das Akzeptieren der fürchterlichen Erkrankung, die unweigerlich zum Tode führen würde, die Erfahrung der eigenen Hilflosigkeit und die der Ärzte und Freunde, die Schmerzen, die Einsamkeit, die Tränen... Obwohl viele am Tag seiner Beerdigung weinten, gab es an seinem Grab auch Hoffnung.
Denn für Christen hat ja jedes Grab eine doppelte Botschaft. Es spricht selbstverständlich von der Unausweichlichkeit unseres Sterben-Müssens, von der Endgültigkeit des Todes. Aber es bezeugt auch die noch viel größere Botschaft, dass im Kraftfeld des Todes die Lebens-macht der Liebe Gottes aufgeschienen ist. Denn der christliche Glaube hat den Mut und die Kraft, angesichts des Todes zugleich auch vom Leben zu sprechen.
Wie sich menschliche Liebe nie mit dem Tod abfindet, sondern dem geliebten Menschen ewiges Leben wünscht, so will erst recht die grenzenlose und unendliche Liebe Gottes für einen jeden von uns Ewigkeit. Seit der Auferstehung Jesu von den Toten ist das so. Wir leben, um bei Gott ewig zu leben. Diese befreiende und beglückende Zuversicht wünsche ich uns allen in diesen dunklen, vielleicht eher bedrückenden Tagen des Novembers mit all seinen Totengedenktagen. Denn wir dürfen die Hoffnung haben, von Gott so endgültig geliebt zu sein, dass auch wir von seiner Liebe über unseren irdischen Tod hinaus erwartet sind.
Ihr Rainer Woelki
Erzbischof von Köln