DOMRADIO.DE: Seit 2015 engagiert sich die "Aktion Neue Nachbarn" im Erzbistum Köln dafür, dass Flüchtlinge aufgenommen und integriert werden. Das Thema ist nun wieder hoch aktuell. Können Sie auch fünf Jahre später noch Menschen motivieren, sich für Flüchtlinge zu engagieren, und mehr Menschen aufzunehmen?
Irene Porsch (Flüchtlingsbeauftrage der Caritas im Erzbistum Köln): Ich denke ja. Nur dieses "mehr Menschen aufnehmen" wird leider im Moment von unserer Bundesregierung so gestaltet, dass einzelne Bistümer mit ihren Initiativen und der Motivation nicht viel machen können. Es ist so, dass die katholische Kirche seit Monaten fordert - sei es in Person von Erzbischof Heße, Sonderbeauftragter für Flüchtlingsfragen und Vorsitzender der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, sei es mit dem Appell verschiedener Kardinäle und Bischöfe, sei es von Seiten des Deutschen Caritasverbands, aber auch über die Landesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege in Nordrhein-Westfalen - da wird seit Monaten gefordert, Kinder, vor allem vulnerable Kinder, aber auch viele andere Menschen aus den Lagern in Griechenland zu holen. Sie brauchen dringend Unterstützung. Bis jetzt ist wirklich wenig passiert.
Jetzt werden 1.000 Geflüchtete aus dem Lager nach Deutschland geholt. In den letzten Monaten gab es vereinzelte Transporte in andere europäische Länder. Es gibt den Wunsch von einzelnen Bundesländern, Länderaufnahmeprogramme zu machen, wie wir sie in der Vergangenheit erfolgreich zum Beispiel für Jesiden und Jesidinnen in Baden-Württemberg hatten und ähnliches. Diesem Wunsch hat Bundesinnenminister Seehofer letzte Woche ja ein klares Veto erteilt. Es ist seit Monaten leider so: Griechenland wird am grünen Tisch entschieden und wieder zu Ungunsten und auf Kosten der Menschen, die unsere Unterstützung und Hilfe so dringend benötigen, weil sie alles verloren haben.
DOMRADIO.DE: Das heißt, Sie sind mit der aktuellen Zahl auch nicht einverstanden?
Porsch: Ja. Die Zahl 1.000 klingt ja erstmal toll. Dabei handelt es sich um 243 vulnerable Kinder mit ihren Stammfamilien. In dem Lager in Moria auf Lesbos gibt es weitaus mehr Kinder, die akut, dringend Unterstützung brauchen - abgesehen davon, dass die Lebensumstände dort wirklich alles andere als kindgerecht sind.
DOMRADIO.DE: Kardinal Woelki hat am Montag bekräftigt, dass das Erzbistum Köln bereit steht, Menschen aufzunehmen. Die Bundesregierung will rund 1.000 Menschen aus dem Lager in Moria nach Deutschland bringen, von denen 220 nach NRW kommen sollen. Wie kommen letztlich die Geflüchteten ins Erzbistum Köln?
Porsch: Wir müssen warten, bis das Land NRW sie nach dem erfolgreichen Durchlaufen eines Asylverfahrens in die Kommunen verteilt. Seit letzter Woche sind die ersten Geflüchteten in Nordrhein-Westfalen. Sie sind erst einmal in Wuppertal in die Zentralen Unterbringungs-Einrichtungen (ZUE) gebracht worden.
Dort durchlaufen sie ein reguläres Asylverfahren und werden spätestens nach sechs Monaten in die Kommunen verteilt, bei manchen könnte das schon früher der Fall sein. Die Bundesregierung und das Bundesinnenministerium haben deutlich gemacht, dass vor allem die Kommunen berücksichtigt werden, die in den letzten Monaten deutlich ihre Aufnahmebereitschaft erklärt haben. Das sind im Erzbistum Köln einige.
DOMRADIO.DE: Die Flüchtlingshilfe im Erzbistum Köln ist gut ausgestattet. Die Caritas ist natürlich auch mit dabei. Wie können und wollen Sie denn jetzt ganz konkret helfen?
Porsch: Wir haben gemeinsam mit dem Erzbistum als Aktion Neue Nachbarn seit 2015 wirklich ein Netzwerk aufgebaut, das ehrenamtliches Engagement und die Unterstützung des selben mit den professionellen Unterstützungsangeboten in der Flüchtlingshilfe miteinander verzahnt hat. Genau dieses Netzwerk steht jetzt für alle bereit, die nach Deutschland kommen und hier Integration erfahren sollen.
Wir haben unter anderem das Therapiezentrum für Folteropfer hier in Köln, aber auch an anderen Stellen Einrichtungen, die psycho-sozial sehr gut unterstützen können. Es sind immer noch circa 10.000 Ehrenamtliche und Engagierte - man glaubt es kaum -, aber in der Corona-Zeit konnten wir feststellen, es stehen immer noch viele bereit und unterstützen auf unterschiedlichste Art und Weise Menschen, die hier einen neuen Anfang starten müssen.
Das Interview führte Dagmar Peters.