Roy Udeh-Ubaka zögert kurz: "Zu 60 Prozent bin ich für Biafra", sagt der 23-Jährige im schwarzen Hemd und schwarz-weiß-gestreifter Hose, und er schaut in die Ferne. "Lange wusste ich allerdings nicht, was ich von alledem halten sollte", so der junge Mann, der Biochemie studiert hat und heute als Autor arbeitet.
Dabei ist Biafra das Synonym für eines der dunkelsten Kapitel der nigerianischen Geschichte. Dahinter verbirgt sich ein Bürgerkrieg, der von Juli 1967 bis Januar 1970 tobte und bis zu zwei Millionen Menschenleben forderte. Nach zwei Putschen im Jahr 1966 sowie schweren ethnischen Ausschreitungen spaltete sich der Südosten am 30. Mai 1967 vom Rest des Riesenlandes ab. Gut fünf Wochen später brach am 6. Juli ein Unabhängigkeitskrieg aus, in dem die Region nach und nach ausgehungert wurde.
Igbos kämpften für einen eigenen Staat
Doch in der Schule stand Biafra kaum je auf dem Stundenplan. "Erst als ich den Roman 'Die Hälfte der Sonne' las, habe ich mich mit Biafra befasst", sagt Roy Udeh-Ubaka. Später seien Gespräche mit seinem Vater hinzugekommen. "Er war damals neun Jahre alt und wurde zum Kindersoldaten. Man gab ihnen Stöcke und Waffen, um anzugreifen."
Er ist damit kein typischer Vertreter der jungen Igbo-Generation. Die Igbos, eine der drei großen ethnischen Gruppen Nigerias, waren es, die damals für ihre eigene Republik kämpften und sich vor allem vom muslimisch geprägten Norden marginalisiert fühlten. Wer heute durch Enugu geht, Udeh-Ubakas Heimatstadt und gleichzeitig erste Hauptstadt Biafras, der spürt, wie dieses Gefühl wieder auflebt. Im Moment hängen an vielen Bushaltestellen Poster, die zum Widerstand aufrufen. Der 30. Mai wurde zum Gedenktag der Biafra-Helden erklärt. Die Mehrheit der Unterstützer wurden lange nach Kriegsende geboren.
Viele Biafra-Befürworter starben in den vergangenen Jahren
Der Grund klingt fast banal: "Nigeria funktioniert nicht. Und es hat schon so lange Zeit nicht mehr funktioniert", meint Roy Udeh-Ubaka. Aktuellen Bewegungen wie "Indigene für Biafra" (IPOB) bringt er daher durchaus Sympathie entgegen. "Wir können schließlich nicht darauf warten, dass ein Messias kommt und uns rettet."
Diese Unzufriedenheit nutzt seit 2015 IPOB-Anführer Nnamdi Kanu, der von vielen Anhängern regelrecht verehrt wird. Kanu, der auch Direktor des Senders Radio Biafra ist, saß bis April im Gefängnis. Vorgeworfen wurden ihm Verschwörung und Zugehörigkeit zu einer kriminellen Organisation. In Nigeria gingen Sicherheitskräfte massiv gegen Biafra-Befürworter vor. Laut der Menschenrechtsorganisation Amnesty International starben allein zwischen August 2015 und November 2016 mindestens 150 Menschen.
Die meisten Staatsbediensteten kommen aus dem äußersten Norden
Kanu ist mittlerweile gegen Kaution entlassen; er ist im Haus seiner Eltern in Umuahia, Hauptstadt des Bundesstaates Abia, untergekommen. Das Haus gleicht einem privaten Hochsicherheitstrakt. Zahlreiche Türsteher wollen Besucher kontrollieren. Unterstützer empfängt Nnamdi Kanu dennoch gerne, um seine Ansichten zu teilen. "Die Zeit für Biafra ist reif." Seine Leute seien in den vergangenen Jahrzehnten systematisch getötet und ausgeschlossen worden.
Tatsächlich wird die Kritik, dass unter Staatspräsident Muhammadu Buhari, der aus dem äußersten Norden stammt, kaum Menschen aus anderen Regionen in öffentliche Ämter kommen, derzeit immer lauter. Dem Magazin "Tell" zufolge sollen bei der aktuellen Rekrutierung für den Geheimdienst 70 Prozent der Ausgewählten aus dem Norden stammen. Unterversorgt ist jedoch der Nordosten, wo verschiedenen Hilfsorganisationen zufolge aktuell fünf Millionen Menschen von Hunger bedroht sind.
Kein Plan für eine Abspaltung
Eines schafft Nnamdi Kanu allerdings nicht. Er kann keinen Plan für eine mögliche Abspaltung des Südostens präsentieren. Auch Daten, wie viele Menschen das tatsächlich unterstützen würden, gibt es nicht. Roy Udeh-Ubaka kritisiert das. Auch wenn er der Idee eines eigenen Staates durchaus etwas abgewinnen kann, wäre ihm das Weiterbestehen des Riesenstaates Nigeria letztlich lieber, sofern das Land nur besser funktioniert.
Eines sei dafür aber dringend notwendig: "Wir müssen das Gefühl von Zusammengehörigkeit entwickeln. Wenn jemand etwa ein Igbo ist, dann heißt das nicht, dass er anderen überlegen oder unterlegen ist. Er ist dir ebenbürtig. Wir sind Nigerianer, und wir sind eins." Eins gibt der 23-Jährige dabei allerdings zu: "Ich weiß nicht, ob ich das noch erleben werde."