Aachener Bistum startet Dialog mit Kirchenfernen

"Dieser Funke soll noch mehr zum Feuer werden"

Die Diözese Aachen hat einen bundesweit einmaligen Dialogprozess unter dem Motto "Heute bei dir" gestartet: Die Bistumsspitze sucht den direkten Kontakt zu Kirchenfernen. Bei der Auftaktveranstaltung gibt es kritische Nachfragen.

Der Aachener Dom vor grauem Wolkenhimmel / © Julia Steinbrecht (KNA)
Der Aachener Dom vor grauem Wolkenhimmel / © Julia Steinbrecht ( KNA )

Der 47-jährige Robert ist so etwas wie der Prototyp dessen, den der Aachener Bischof Helmut Dieser mit seinem breit angelegten Dialogprozess "Heute bei dir" erreichen will: "Ich betrachte mich als Christ, habe aber mit der katholischen Kirche große Probleme", bekennt der Aachener. "Sie ist im Laufe der Geschichte zu sehr von dem abgewichen, wofür sie gestanden hat". Während sein Sohn Messdiener ist, hat Robert sein Engagement in der Kirche schon seit Jahren eingestellt. Aber er ist offen für die Gesprächsreihe, die Dieser angestoßen hat und über drei Jahre gehen soll. Am Sonntag ist er dessen Einladung zur ersten Veranstaltung im bischöflichen Pius-Gymnasium in Aachen gefolgt.

Kirche lebendig in Zukunft führen

Keine Frage: Der Auftakt zu diesem Prozess, den es in dieser Form in Deutschland noch nicht gegeben hat, kann sich sehen lassen: Über 300 "normale" Gläubige sowie eher Kirchenferne und "inaktive" Kirchenmitglieder sind gekommen und bekunden viel Interesse. "Hier sind viele Menschen mit großen Erwartungen", freut sich der Bischof. "Gemeinsam ist uns allen der Glaube und die Frage, wie die Kirche lebendig ins Morgen gehen kann. Dieser Funke soll noch mehr zum Feuer werden." Deshalb will Dieser auch in den kommenden Monaten bei einer "Küchentisch-Tour" mit Menschen in Kontakt kommen, die die Kirche bisher nicht erreicht, wie er ankündigt. "Wir müssen als Glaubende einen Blick für sie gewinnen."

Die Reaktionen auf die Idee fallen sehr unterschiedlich aus. "Ich bin total begeistert von Ihren Anregungen, frage mich aber, was die Ausrichtung des Ganzen ist", meint eine Teilnehmerin. "Das ist ein gewagter und interessanter Schritt, aber dürfen wir alle nur brav sein oder auch rebellische Fragen stellen?" Voller Überzeugung erwidert der Bischof: "Ich liebe rebellische Fragen. Ich bin selbst auch rebellisch." Die Ausrichtung und die Ergebnisse seien letztlich völlig offen. Aber er wisse aus Erfahrung, dass Hausbesuche - die den Küchentisch-Besuchen ja ähnelten - stets sehr lehrreich seien. Einem Frager, der den Modernisierungsstau in der Kirche beklagt, antwortet der Bischof, er wolle ganz bewusst in der Verkündigung nicht nur den Mainstream der Gläubigen bedienen. Es müsse besser, vielfältiger und existenzieller verkündigt werden.

Über die "Küchentisch-Tour" hinaus sollen unter dem Titel "meet and eat" in den acht Regionen des Bistums Aachen Großveranstaltungen mit der Bistumsleitung stattfinden, darunter in der Generatorenhalle Viersen, dem alten Straßenbahn-Depot Aachen, dem Energeticon Alsdorf, dem Borussia-Park Mönchengladbach und der Zeche Sophia-Jacoba in Hückelhoven. "Jeder soll dann etwas zu essen und zu trinken mitbringen", erklärte Dieser. "Einzige Voraussetzung ist das Interesse am Austausch." Der Abschluss der "Küchentisch-Tour" soll am 23. August mit einem großen Fest in Aachen begangen werden, wie es hieß.

Kritische Reaktionen

Auch Ängste über Vorfestlegungen oder mangelnde Transparenz kommen in der Plenumsdebatte hoch. So gibt ein Hauptamtlicher zu bedenken, dass es so etwas wie die "Küchentisch-Tour" längst gebe - bei den Sonntagsfrühstücken in vielen Gemeinden. Eine Pastoralreferentin wirft kritisch ein: "Das hatten wir alles schon mal bei zwei Bistumstagen, und damals ist aus der Konkretisierung der Handlungsschritte nichts geworden." Dieser verspricht, er werde "Vergewisserungsschleifen drehen" über alles, was in den letzten Jahren gelaufen sei. "Ich lerne noch dauernd dazu und werde keine Fakten ohne tieferes Wissen schaffen", sagt er zu. Auch solle in dem neuen Dialogprozess niemand ausgeklinkt werden; selbstverständlich würden die kirchlichen Räte und Gremien einbezogen.

Besonders lebhaft wird es, als ein Eifeler sich zu Wort meldet und fragt: "Was wird aus den Pfarreien? Sie dürfen ja nicht lügen. Bitte keine großen Zusammenlegungen nach dem Trierer Modell!" Dieser räumt ein, dass auch für ihn die klassische Pfarrei Heimat bedeute, die Kirche aber in seinen Augen "überstrukturiert" sei. Er wisse aber um den Abschiedsschmerz gerade von alten Menschen. Dass Macht fragwürdig werden könne, sei ihm ebenfalls bewusst, "aber auch Räte können Terror ausüben, und das kann furchtbar werden".

Evangelisierung stärken

Nach Diesers Auffassung bleibt in der Kirche die einzelne Person ein Leitstern. "Die persönlichen Begegnungen im Laufe unseres Prozesses können sehr wichtig sein." Evangelisierung müsse noch viel breiter aufgestellt werden, um besser über Schuld, Nächstenliebe oder Versöhnung sprechen zu können. "Wir müssen uns weiterentwickeln und aus Polarisierungen, Lager-Denken und Verfestigungen herauskommen", so der Bischof. "Wenn wir im Laufe des Prozesses alle aufeinander zu finden und eine gemeinsame Gewissheit erlangen, dann wird es keine Gewinner und Verlierer geben."

Gerd Felder


 

Bischof Helmut Dieser / © Harald Oppitz (KNA)
Bischof Helmut Dieser / © Harald Oppitz ( KNA )
Quelle:
KNA