DOMRADIO.DE: Mittwochmorgen hat die Polizei begonnen zu räumen. Sie waren am Wochenende vor Ort. Wie ist die Lage einzuschätzen?
Marie-Theres Jung (Diözesanrat der Katholik*innen im Bistum Aachen): Am Sonntag war der große Waldspaziergang mit Michael Zobel (Aachener Waldpädagoge), zu dem auch schon mehr als 1.000 Menschen gekommen sind. Dort herrscht immer ein großes Gemeinschaftsgefühl. Viele Menschen stehen da gemeinsam und sind sich einig, was hier passiert, ist Unrecht. Damit wird der nächsten Generation ihre Lebensgrundlage genommen. Dort hat sich das Camp aufgebaut und es ist erstaunlich zu sehen, wie viele junge Menschen sich dort angesiedelt und eine große Infrastruktur aufgebaut haben.
DOMRADIO.DE: Die Polizei hat am Dienstag schon angefangen, Barrikaden wegzuräumen. Wie haben die Klimaaktivisten reagiert?
Jung: Es war ja schon geplant, dass man sich dem widersetzen möchte. Sie haben Barrikaden aufgebaut, hauptsächlich Menschen-Barrikaden. Sie wollen sich wegtragen lassen, aber ohne Gewalt. Die Menschen stellen sich allein mit ihren Körpern der Polizei entgegen und rufen zu gewaltlosem Widerstand auf.
DOMRADIO.DE: Ist die Räumung von Lützerath aus Ihrer Sicht unumgänglich oder unnötig?
Jung: Unnötig. Im Oktober haben Mona Neubauer (NRW-Wirtschaftsministerin) und Robert Habeck (Bundes-Wirtschaftsminister) einen sogenannten RWE-Deal ausgesprochen, den Kohleausstieg 2030. Man spricht von einem großen Erfolg, aber man hat RWE damit noch 280 Millionen Tonnen Kohle zugesprochen, die sie abbauen und verfeuern dürfen. Wir haben aber auch das 1,5 Grad-Ziel. Dafür haben wir uns bei der Klimakonferenz in Paris ausgesprochen. Demnach dürfen wir nur noch 200 Millionen Tonnen Kohle verfeuern. Wir stehen in der Pflicht, auch das 1,5 Grad-Ziel einzuhalten. Mit diesem Deal, RWE diese großen Mengen Kohle zu gewähren, können wir das 1,5 Grad-Ziel nicht mehr erreichen.
DOMRADIO.DE: Auf die Frage "Wird die Kohle wirklich gebraucht?", antworten Grünenpolitiker mit Ja, genauso wie RWE-Mitarbeiter. Die Klimaaktivisten sehen das anders. Wie genau sieht die Perspektive des Diözesanrates aus?
Jung: Es gibt genügend Gutachten. Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung hat ein Gutachten herausgebracht, in dem es heißt, dass die Kohle unter Lützerath nicht mehr gebraucht wird. Es gibt sogar ein Gutachten von RWE, in dem es heißt, dass diese Kohle nicht gebraucht wird. Aber wenn man Lützerath nicht in Anspruch nimmt, die Kohle also woanders fördert, ist das betriebswirtschaftlich für RWE wesentlich teurer.
DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie nun von der Kirche?
Jung: Wir fordern als Diözesanrat von der Landesregierung schon länger ein Moratorium, dass erst die Sachlage noch einmal genau dargelegt wird, dass alle Gutachten miteinander verglichen werden. Erst dann kann eine Räumung anstehen. Aber erst müssen alle Fakten nebeneinander gelegt und wirklich geschaut werden, wie viel Kohle wird tatsächlich noch gebraucht. In den nächsten drei Jahren wird die Kohle definitiv nicht gebraucht und muss nicht gefördert werden. Das ist faktisch klar. Das geht aus allen Gutachten hervor.
DOMRADIO.DE: Die Räumung hat begonnen. Ist die Enttäuschung jetzt groß oder glauben Sie, dass man da noch gegensteuern kann?
Jung: Es wird am Samstag nochmal eine große Demonstration geben, wo sicherlich viele Tausend Menschen hinkommen werden. Der Widerstand ist groß und ich glaube, es muss einfach auch noch einmal deutlich werden, dass wir, wenn wir RWE diese 280 Millionen Tonnen Kohle gewähren, unser Klimaziel nicht erreichen können. Das dürfen wir nicht zulassen.
DOMRADIO.DE: An den Protesten gegen die Räumung von Lützerath haben sich auch christliche Initiativen beteiligt. Auch die fordern mehr Engagement der Bischöfe und haben auch Gottesdienste gefeiert, zum Beispiel am Dreikönigstag. Da gab es einen Gottesdienst mit anschließender Häusersegnung. Was haben Sie davon mitbekommen?
Jung: Die Initiative "Kirchen im Dorf lassen" begleitet den Protest schon seit vielen Jahren und ist dort aktiv. Ich selber war auch schon bei vielen Gottesdiensten mit dabei und es ist wirklich sehr schön zu sehen, wie viele unterschiedliche Menschen sich da aus ihrer christlichen Perspektive nochmal einsetzen.
Das Interview führte Dagmar Peters.