Der Kontrast könnte größer nicht sein. Als die Trauergemeinde nach den feierlichen Exequien für Wolfgang Picken mit anschließender Beisetzung in der Gruft der Münsterpfarrer im Kreuzgang der Basilika vor das Hauptportal tritt, empfängt sie auf dem Münsterplatz laute Karnevalsmusik. Die Bonner Stadtsoldaten in ihren blau-rot-weißen Uniformen feiern ausgelassen nur ein paar Schritte weit von der Innenstadtkirche, wo soeben die Familie, Freunde und Weggefährten, Vertreter aus Politik und Gesellschaft, eine Vielzahl ehrenamtlich Engagierter, außerdem Grabesritter, Malteser, Abordnungen der Pfadfinder und Studentenverbindungen sowie viele Geistliche aus dem ganzen Erzbistum und darüber hinaus von dem 56-Jährigen Abschied genommen hatten.
Ein bisschen von dieser unbeschwert-heiteren Stimmung war zuvor auch am Grab angeklungen. Denn dort ertönte zur Überraschung aller Anwesenden plötzlich eine launige Hymne von der kölschen Band Bläck Fööss, die sich Picken allerdings gewünscht hatte und die obendrein eine Hommage an seine Geburtsstadt Köln sein sollte: Und so spielte ein Dudelsackpfeifer als letzten Gruß "Du bess die Stadt, op die mer all he stonn…", nachdem die Gläubigen wenige Augenblicke zuvor noch im Münster "Großer Gott, wir loben dich…" gesungen hatten.
Für die Hospizbewegung stark gemacht
Die Gleichzeitigkeit von Freude und Trauer, Glück und Leid könnte auch ein Sinnbild für das Leben von Wolfgang Picken sein, der früh gelernt hatte – zumal er schon einmal vor vielen Jahren ernsthaft erkrankt war – den Tod einzukalkulieren und letztlich eben auch ins Leben zu holen, so wie es die Hospizbewegung propagiert, für die er sich jahrzehntelang – nicht nur an seiner Bonner Wirkungsstätte – stark gemacht hat. Überhaupt war der Bonner Stadtdechant und Münsterpfarrer jemand, der "Multitasking" beherrschte: die Kunst, mit scheinbarer Leichtigkeit an vielen Strängen zur selben Zeit zu ziehen und mit unermüdlicher Energie aus Ideen tragfähige Projekte zum Wohl und Nutzen der Menschen zu machen. Er beherrschte die lauten und die leisen Töne, die fröhlichen und getragenen und immer war er auf der Suche nach Mitstreiterinnen und Mitstreitern – auch in ökumenischer Verbundenheit – die er für seine Sache gewinnen und mit denen er gemeinsam neue Ziele – auch die ehrgeizigsten – angehen konnte.
Kollekte für die Bonner Münsterstiftung
Diese Begabung des Networking war nicht zuletzt ein Indiz dafür, dass Wolfgang Picken ein Beziehungsmensch war, er von der Begegnung lebte und es verstand, die Menschen um sich zu scharen – das wurde an diesem Morgen im Bonner Münster noch einmal mehr als deutlich sichtbar. Denn schon eine Stunde vor Beginn der Totenmesse war die Kirche bis auf den letzten Platz besetzt. In den ersten Bankreihen saßen die Familienangehörigen, aber auch diejenigen aus der Stadtgesellschaft, die er beizeiten mit ins Boot geholt hatte und die dann zu seinen großen Unterstützern wurden: allen voran die Bonner Oberbürgermeisterin Katja Dörner und einige Alt-Oberbürgermeister der Stadt wie Ashok-Alexander Sridharan, der auch eine Fürbitte vortrug. Denn die Netze, die Picken zu spannen verstand, bedurften auch eines finanziellen Fundaments und Spielraums. Und so war nur folgerichtig, dass auch in diesem Trauergottesdienst die Kollekte für die Bonner Münsterstiftung gedacht war, mit der zum einen das Münster selbst, vor allem aber auch die lebendigen Steine – die Menschen so zahlreich angestoßener Sozial- und Kulturprojekte – gefördert werden.
Wille des Verstorbenen bis ins Detail berücksichtigt
Noch vor dem offiziellen Einzug der schier endlos scheinenden Prozession von Mitbrüdern – darunter der Würzburger Alt-Bischof Friedhelm Hofmann, der Kölner Weihbischof Ansgar Puff und sechs Kölner Domkapitulare – begann die Einstimmung zur Feier mit dem Adagio aus Mozarts Klarinettenkonzert. Später sangen der Bonner Münsterchor und der Chorus Cantate Domino die "Mass of St. Gregory für Chor, Bläser und Orgel von Richard R. Terry, während die ausgewählten Gemeindelieder auffällig nichts von der sonst üblichen Schwere eines Requiems hatten. Vielmehr – auch das hatte der Verstorbene noch zu Lebzeiten verfügt – sollte in ihnen angesichts des Todes sehr bewusst Zuversicht, Hingabe, Verehrung und Hoffnung zum Ausdruck kommen. Und so war die liturgische Farbe auch nicht schwarz, sondern ein leuchtendes Weiß. Der Wille des Verstorbenen fand auch im letzten Detail Berücksichtigung.
Predigt hielt Onkel des Verstorbenen
Bewegend waren die Worte, mit denen Pfarrer Dr. Ludger Winner, ehemals Pfarrer an St. Lamberti in Münster und Onkel des Verstorbenen, den Menschen und Seelsorger Wolfgang Picken skizzierte. Er sei eine Persönlichkeit mit Ausstrahlung gewesen; jemand, der es vermocht habe, "uns das Herz zu öffnen". Und man habe gespürt, dass er für Jesus Christus brannte. "Er hatte nur eines im Sinn: den zu bezeugen, in dem uns die Güte und Menschenfreundlichkeit Gottes erschienen ist; eine Liebe, die uns rettet und die in Ewigkeit nicht vergeht." Er sei davon überzeugt gewesen, dass die Freude des Glaubens nur bewahrt werden könne und an das Ziel des Weges gelange, wer seinen Blick immer auf Christus richte. Sein Neffe sei ein vielseitig gebildeter Mensch gewesen, stellte Winner fest, "nicht zuletzt begnadet mit der Gabe einer eindringlichen und zupackenden Sprache". Dabei habe er sich nie in irgendwelchen Beliebigkeiten verlieren wollen. "Nein, er hielt sich an die Maßgabe, die er als seinen Primizspruch gewählt hatte, an ein Wort des Apostels Paulus an seinen Schüler Timotheus: Verkünde das Wort, tritt dafür ein, sei es gelegen oder ungelegen."
Dieses Wort sei auch sein Vermächtnis an so viele im Angesicht seines zu erwartenden Todes gewesen: das Wort vom heilbringenden Tod und seiner siegreichen Auferstehung, die Verkündigung von der Gott gewirkten Wende alles Weltgeschehens. Diesen Auftrag habe Wolfgang als Berufung zum priesterlichen Dienst verstanden, so Winner weiter, in einer nie nachlassenden Freude, Treue und Dynamik.
Gleichzeitig habe er es auch verstanden, klare Worte der Abgrenzung zu finden. "Wenn es galt, Widerspruch einzulegen angesichts mancher Entwicklungen in unserer Gesellschaft oder auch in einem bequem gewordenen westlichen Christentum, nicht zuletzt angesichts mancher Verwerfungen in der Kirche, hat er sich nicht angepasst – auch nicht, wenn er dafür öffentliche Kritik erhielt, die dann allerdings nicht selten auf schwachen Füßen stand, weil er seinen Standpunkt differenziert genug begründet hatte." An anderer Stelle sagte Winner: "Er wusste, dass er in der letzten Phase seines Lebens das Weizenkorn war, das in die Erde gesenkt werden muss, um sterben zu können und Frucht zu bringen." Wobei sich sein Verständnis von Verkündigung auf alle Bereiche kirchlichen und gesellschaftlichen Lebens bezog, er diese im Blick hatte und sich dort einbringen wollte.
Von nun an werde er als geschätzter Gesprächspartner fehlen: nicht nur in den Medien, sondern auch bei der Begegnung mit Künstlern, Politikern und Wissenschaftlern, in den Gremien des Stadtdekanates und des Erzbistums. "Überall, wo es sozusagen brannte, dort bot er seine Hilfe an, verstand diese sogleich zu organisieren und weiterhin im Blick zu behalten. Denn er beließ es nicht bei bloßen Worten, sondern vermochte, die Schätze unseres Glaubens auch in die Zivilgesellschaft einzubringen." Aufgrund seiner Kompetenz in vielen Bereichen sei seine Mitarbeit stets willkommen gewesen. Und trotzdem habe er immer auch noch ein offenes Ohr für die Sorgen, Nöten, aber auch Freuden der Menschen gehabt, vor allem auch der jungen Generation.
Seine vielfältigen Herausforderungen habe er nur bewältigen können, weil er für Christus gebrannt habe. Gleichzeitig erinnerte Winner noch einmal daran, dass Wolfgang Picken in seinem Abschiedsbrief auch Selbstkritik geübt und um Verzeihung gebeten hatte, wo er Fehler gemacht, Menschen missverstanden, Wichtiges nicht gesehen oder gehört, enttäuscht und verletzt habe. Wolfgang Picken habe sein Leben immer als Pilgerreise in die Ewigkeit gesehen und ermutige dazu, "bewusst den Weg in unsere bleibende Heimat zu gehen, als gläubige, hoffende und liebende Christen". Er bitte darum, keine Zweifel daran zu haben, "dass Christus bei seiner Kirche bleiben und dafür sorgen wird, dass sie die Herausforderungen der Zeit besteht".
Von ihm bleiben würde "sein sichtbarer Einsatz, etwa für die zahlreichen Kindergärten, die er mit vielen Ehrenamtlichen und Wohltätigen gründen konnte, ebenso sein Einsatz für die Hospize, deren konkrete Hilfsangebote für die Sterbenden und ihre Angehörigen in der Stadt Bonn auch künftig ein Segen sein werden, und die von ihm angeregten Klostergründungen als erkennbare Zeichen seiner Entschiedenheit für eine geistliche Erneuerung der Kirche".
Am Ende des Gottesdienstes sprach Kardinal Woelki im Namen der ganzen Diözese und des Presbyteriums der Familie und allen Anwesenden sein herzliches Beileid und seine Anteilnahme am Tod des so plötzlich Verstorbenen aus. Der Erzbischof betonte, dass dieser sich seine Exequien in einer österlichen Haltung gewünscht habe und er selbst nun bei aller Trauer gestärkt aus dieser Feier hervorgehe. Wörtlich sagte Woelki: "Das Leben ist nicht zu Ende, es ist gewandelt. Er ist uns nur vorausgegangen, er wartet auf uns und wird uns jetzt von einem anderen Ort aus begleiten." Dem Verstorbenen zugewandt fuhr Woelki mit herzlichen Worten fort: "Lieber Wolfgang, ich bin von Herzen dankbar für Deinen Dienst, für die vielen langen Jahre – erst in Bad Godesberg, dann hier in der Innenstadt von Bonn; für einen Dienst, den Du zum Segen der Menschen vor Ort und für das Erzbistum ausgeübt hast. Möge der Herr Dir alles Gute vergelten."