Vor dem Eingang der Kölner Kirche Sankt Aposteln haben sich zwei aus Vietnam stammende Männer postiert. In ihren Händen halten sie ein Transparent, und darauf die Worte: "In ewiger Dankbarkeit". Sie gelten der Person, den die Männer als ihren Lebensretter verehren: Rupert Neudeck. Um den vor gut zwei Wochen gestorbenen Mitbegründer der Hilfsorganisationen Cap Anamur und Grünhelme zu ehren und zu verabschieden, versammeln sich am Dienstag rund 2.000 Menschen zu einem Trauergottesdienst. Darunter sind - mit Blumen in der Hand - zahlreiche "boat poeple", die Neudeck und sein Team vor Jahrzehnten aus dem südchinesischen Meer rettete - genauso wie heute Flüchtlinge aus maroden Nussschalen aus dem Mittelmeer geborgen werden müssen.
Es ist ein schlichter Trauergottesdienst, den der Kölner Kardinal Rainer Maria Woelki leitet. Kein großer Chor und nur ein kleines Streichquartett begleitet neben der Orgel die katholische Liturgie. An der Feier nehmen auch buddhistische Mönche und Muslime teil. Es ist die übergroße Präsenz der vielen Menschen von überall her, der "boat people" und ihrer Angehörigen, die damit ihre tiefe Verbundenheit mit Neudeck ausdrücken und dem Abschied ihre eigene Note verleihen. Viele Gäste finden nur noch vor der Tür des romanischen Gotteshauses einen Platz.
Woelki: "Treuer und ehrlicher Freund"
In seiner mit Beifall bedachten Predigt bekundet Woelki selbst Dankbarkeit dafür, Rupert Neudeck kennengelernt zu haben. Und er berichtet darüber, wie dieser ihn vor einem Jahr bedrängte, etwas für die ertrinkenden Flüchtlinge im Mittelmeer zu tun - und zwar sofort. Weil es immer mehr Tote werden, habe Neudeck auf eine schnelle Umsetzung der Aktion "23.000 Glockenschläge" gedrungen, mit der das Erzbistum Köln im Juni 2015 an die im Mittelmeer ungekommenen und umkommenden Flüchtlinge erinnert hat.
Am Altar, von wo Neudeck von einem Bild in die Reihen blickt, macht der Erzbischof keinen Hehl aus seiner Trauer. Auch wenn Neudeck schon 77 Jahre alt gewesen sei, erscheine ihm sein Tod wie der "Abbruch eines Lebens", sagt der Erzbischof. Die Mission des Aktivisten scheine noch lange nicht beendet. Den "nimmermüden Rupert Neudeck" nennt der Kardinal einen "treuen und ehrlichen Freund" und "unbedingten Humanisten". Begriffe wie "vielleicht", "mal sehen" oder "geht nicht" seien Fremdworte für ihn gewesen. Er habe sich das Elend von Ertrinkenden und Flüchtlingen zu eigen gemacht und durch seine Überlebenshilfe "Gott unter uns lebendig werden lassen". Damit sei er ein "Auferstandener mitten im Leben" gewesen.
Kermani: "Menschenfreundlichkeit, die über das gewöhnliche Maß hinausgeht"
In die gleiche Richtung gehen die Worte des muslimischen Schriftstellers Navid Kermani. Er betont in seiner Ansprache nach dem Gottesdienst, nicht nur die Familie vermisse Neudeck. Dem Gemeinwesen fehle "seine Stimme in Zeiten des wiederkehrenden Nationalismus, seine Tat in Zeiten der Flüchtlingsnot, seine Versöhnung in Zeiten des Terrors, seine Menschenfreundlichkeit, die über das gewöhnliche Maß hinausgeht".
Dinh Quang Nguyen wurde von Rupert Neudeck wie viele andere vietnamesische Flüchtlinge gerettet. Nach der Trauerfeier würdigt Nguyen das Lebenswerk Neudecks, erinnert an die Anfänge von Cap Anamur und bezeichnet Christel und Rupert Neudeck als seine geistigen Eltern. "Humanitäre Arbeit und Familie waren bei euch untrennbar verbunden", sagt Nguyen. "Wir sind Zeugen wahrer Liebe geworden."
Pfarrer Gotthard Fuchs erinnert in seiner Trauerrede an Neudeck als einen Helfer, der selbst beschenkt wurde durch die Geretteten und niemals herablassend handelte. Seine Überzeugung allen Menschen in Not zu helfen, nicht nur den Christen, bezeichnet Gotthard als prophetisch und katholisch. Konzelebrant ist Pfarrer Thomas Phu Tho Mai aus dem Bistum Trier. "Ich habe mitbekommen, dass unser Retter gestorben ist. Ich rief das Erzbistum Köln an, und mir wurde gleich erlaubt, mit zu zelebrieren.“ Er wurde 1980 gerettet und verbrachte drei Wochen gemeinsam mit Rupert und Christel Neudeck an Bord der Cap Anamur.
Viel Mitgefühl für Christel Neudeck
Zu der Trauerfeier ist nicht die ganz erste Reihe der Politik gekommen: der frühere Bundestagspräsident und SPD-Politiker Wolfgang Thierse, der stellvertretende CDU-Bundevorsitzende und NRW-Landeschef Armin Laschet sowie der FDP-Politiker Gerhart Baum. Auch der ehemalige Fernsehmoderator Alfred Biolek, der Journalist Franz Alt oder der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sind dabei.
Familie Neudeck sitzt ganz vorn. In ihrem Kreis fand schon vor ein paar Tagen die Beisetzung statt. Jetzt bei der öffentlichen Feier bekunden zahlreiche Menschen ihr Mitgefühl gegenüber Christel Neudeck, die gemeinsam mit ihrem Mann die Hilfsprojekte vom heimischen Wohnzimmer in Troisdorf organisierte.
"Ich bin von der Feier und dem Mitgefühl beeindruckt, das hier spürbar war", sagt der Exilvietnamese Thanh Nguyen-Brem nach der Trauerfeier. Nguyen-Brem unterstützte die Cap Anamur und betreute vietnamesische Flüchtlinge als Dolmetscher.
"Nicht abwarten, sondern Tun"
"Der heutige Tag erinnert uns nochmal daran, dass wir gerettet wurden", betont Pastor Paulus Dinh Dung Phan aus der Gemeinde Sankt Pankratius und Sankt Marien in Gescher, auch er ist geretteter Bootsflüchtling. Rupert Neudeck habe immer wieder gesagt, "dass wir nicht abwarten sollen, sondern Tun", erinnert sich Pastor Dinh Dung Phan. "Dafür danken wir Gott – und nicht umsonst bin ich Priester geworden."
Vielen Gottesdienstbesuchern ist es ein Anliegen, von Rupert Neudeck in Köln Abschied zu nehmen. "Ich habe meinem Chef, dem Erzabt gesagt: Ich muss heute hier hin gehen", sagt Missionsbenediktiner Pater Augustinus Pham aus St. Ottilien. Er hat auf den Philippinen ein Flüchtlingslagern vietnamesische Kinder betreut. Rupert Neudeck habe es verstanden, Menschen aus verschiedenen Religionen zusammenzubringen. "Ein Mensch, der sich wie Jesus radikal für die Menschen hingegeben hat", so der Benediktiner nach der Trauerfeier.
Die Kondolenzbüchern füllen sich in Sankt Aposteln mit Einträgen. Einer knüpft inhaltlich an das Transparent vom Eingang an: "Ohne dich wären ich und Tausende andere Vietnamesen nicht hier heute.".