Abt Odilo von Cluny leitete das mächtigste Kloster in Europa

Ein Mönchs-Imperium für das zweite Jahrtausend

Unserer superlativgeilen Zeit reicht das Wort "Jahrhundertwende" nicht, um die Welt vor 20 Jahren zu beschreiben. Es muss schon die "Jahrtausendwende" sein. 1.000 Jahre zuvor war für solche Art Betrachtungen keine Muße.

Autor/in:
Alexander Brüggemann
Abtei von Cluny / © Svetlana Bondareva (shutterstock)

Als der polnische Primas Stefan Wyszynski dem damaligen Krakauer Erzbischof Karol Wojtyla in den 1970er Jahren prophezeite, er werde als Papst die Kirche ins neue Jahrtausend führen, mag diesem ordentlich der Schreck in die Glieder gefahren sein. 

Für den jungen adligen Mönch Odilo muss 1.000 Jahre zuvor der Schreck ähnlich heftig gewesen sein, als sich 993 abzeichnete, dass er schon bald dem legendären und mächtigen Abt Maiolus (910-994) nachfolgen und den aufstrebenden Klosterkonzern von Cluny in Burgund in dieser Zeit von Reform und Übergang in die Zukunft führen sollte (994-1049).

Entschlossen

Der begabte junge Mann, 961/62 in die Adelsfamilie Mercour in der Auvergne hineingeboren, tat dies gleichwohl mit Entschlossenheit. Die grundlegenden Wege, die Abt Maiolus eingeschlagen hatte, baute er mit Umsicht aus. Beispiel: die kirchliche Eigenständigkeit. 

Cluny und seine damals schon 38 Tochterklöster sollten "exemt" werden, also nurmehr dem Papst direkt und nicht – als sogenannte "Eigenkirchen" – einem adligen Herrscher oder Grundherren unterstehen. Cluny wurde 998 exemt, was für die Zeit neu und bahnbrechend war; 38 Klöster waren da bereits als Töchter angeschlossen ("filialisiert"). In Odilos Todesjahr gehörten dann 68 Klöster dem Verband von Cluny an.

Auf den Höhepunkt sollten es rund 1.400 Klöster in ganz Europa sein; ein Cluniazenser-Imperium mit mehr als 10.000 Mönchen und 2.000 Besitztümern, von der Lombardei bis nach Schottland. Seine Architektur, seine Kunst, seine geistlichen Impulse strahlten auf den ganzen Kontinent aus.

Totengedenken als "Spezialität"

Ein weiteres Beispiel der Kontinuität: das Totengedenken als eine "Spezialität" von Cluny. Es war nicht zuletzt das vom Klostergeförderte Andenken an die Toten, mit dem Cluny schon unter der Leitung von Abt Maiolus ein großes Vermögen durch Spenden und Erbschaften erhalten hatte. Etwa 900 Dörfer, viele Pfarreien und Abgaben flossen dem Kloster zu.

Klosterkirche von Cluny / © Alexander Brüggemann (KNA)
Klosterkirche von Cluny / © Alexander Brüggemann ( KNA )

Abt Odilo dachte den Gedanken, alle armen Seelen sollten dereinst die Gemeinschaft mit den Heiligen erleben dürfen, konsequent zuende. Um das Jahr 1000 – eine Quelle spricht vom Jahr 998, andere von 1028/30 – führte er für den 2. November Allerseelen per Dekret als Gedenktag in allen von Cluny abhängigen Klöstern ein. Das Fest stand in fließendem Übergang von Allerheiligen tags zuvor. An beiden Tagen wurden alle des Weges kommenden Armen mit Brot und Wein gespeist.

Vollendung in Gott

Gebete, Fürbitten und Messfeier an Allerseelen sollen dazu beitragen, dass alle Toten Vollendung in Gott finden. Die Nähe zu Allerheiligen rückt die einzelne arme Seele des Verstorbenen auch spirituell an die Heiligen heran – eine Nähe, die seit jeher gesucht wird, etwa durch die Wahl der Begräbnisstätte "apud sanctos" (bei den Heiligen). Deren Fürsprache könnte schließlich der Schlüssel zur Erlangung des ewigen Heils sein.

Abt Odilo kannte die wichtigen Herrscher seiner Zeit: das sächsische ("ottonische") Kaiserhaus, später die salischen Kaiser bis hin zu den Königen Frankreichs, Ungarns, Navarras und Leons. Ein durchaus politisches Anliegen war ihm der sogenannte Gottesfriede – den man als Anfang einer europäischen Friedensbewegung im Mittelalter sehen kann.

Drohung mit Exkommunikation 

Fürsten, Bischöfe und Territorialäbte arbeiteten dabei zusammen, um für bestimmte Perioden wie etwa kirchliche Hochfeste Kriegs- und Kampfhandlungen zu unterbinden. Abgesichert wurde dies durch die Androhung von Kirchenstrafen bis hin zur Exkommunikation, also dem Ausschluss aus der Kirchengemeinschaft und von den Sakramenten. Den Beginn dieser Bewegung sehen Historiker tatsächlich im Frankreich des 10. Jahrhunderts.

Im hohen Alter von über 70 Jahren wurde Odilo 1033 zum Erzbischof im traditionsreichen Lyon gewählt; doch er blieb lieber seiner Ordensberufung treu. In der Nacht zu Neujahr 1049, vor 975 Jahren, starb Odilo, der fünfte Abt von Cluny, nach über einem halben Jahrhundert Regentschaft und im Ruf der Heiligkeit. 

Seinen Gebeinen freilich erging es schlecht – lässt man außer Acht, dass man immerhin noch über 700 Jahre von ihnen wusste: 1345, zu Beginn des Hundertjährigen Krieges, wurden sie zunächst exhumiert – und dann, während der Französischen Revolution, im Zuge religionsfeindlicher Akte verbrannt.

Zu groß und zu reich

Unter Odilos Nachfolger Hugo von Semur (1024-1109) setzte sich die Expansion des Ordens weiter fort – und manifestierte sich im Bau der größten Kirche der damaligen Welt, heute "Cluny III" genannt. Doch dieser Repräsentationswille des Vorzeige-Christentums von Cluny führte irrationalerweise in den Niedergang. 

Die Kosten für die riesigen Bauten brachten den Tanker allmählich ins Schlingern – trotz des damals größten Geldvermögens in Europa. Was als arme Klosterreform begann, war zu groß und zu reich geworden.

Deutsche Ordensobernkonferenz

Die Deutsche Ordensobernkonferenz (DOK) ist der Zusammenschluss der Höheren Oberen der Orden und Kongregationen in Deutschland. Die Verantwortlichen der General- und Provinzleitungen von Ordensgemeinschaften sowie der Abteien und selbständigen Einzelklöster in Deutschland haben sich in der DOK zusammengeschlossen, um ihre Interessen in Kirche und Gesellschaft gemeinsam zu vertreten und sich gegenseitig zu helfen, das Ordensleben in seinen vielfältigen Phasen und Aspekten und in den immer neuen Herausforderungen der sich wandelnden Zeit zu verwirklichen.

Symbolbild Ordensfrauen im Gottesdienst / © Jannis Chavakis (KNA)
Symbolbild Ordensfrauen im Gottesdienst / © Jannis Chavakis ( KNA )
Quelle:
KNA