Der Fußballplatz liegt verwaist in der hellen Morgensonne, keine aufgeregten Kinderstimmen, die bunt angemalten Gänge der "Asociación Comunidad Esperanza" sind leer: Zwei Jahre lang waren die Schulen in Guatemala wegen der Corona-Pandemie geschlossen. Für die rund 450 Schülerinnen und Schüler dieser Schule war das eine Katastrophe:
"Viele kommen aus zerrütteten Familienverhältnissen, für sie sind wir auch Schutzraum von der Gewalt in der Familie", sagt der Direktor Byron Gómez Gatica. "Wir haben in den vergangenen zwei Jahren einen Anstieg von Kindesmisshandlungen beobachtet. Und wir haben viele unserer Schüler auf den Straßen und Märkten gesehen, wo sie jetzt arbeiten, anstatt zu lernen.“
Die "Asociación Comunidad Esperanza" ("Gemeinschaft der Hoffnung") liegt in einem der Armenviertel der 90.000-Einwohner-Stadt Cobán im Zentrum Guatemalas. Der guatemaltekische Priester Sergio Godoy Peláez gründete sie 2003, um Kindern aus armen Familien eine Chance auf Bildung zu ermöglichen. In der Region leben rund 80 Prozent der Bevölkerung in Armut, landesweit sterben dort die meisten Kinder an akuter Unterernährung.
Darum bietet die Schule zusätzlich Gesundheitsversorgung, psychologische Begleitung und einmal am Tag ein warmes Essen an: "Wir setzen auf integrale Bildung", erklärt Padre Sergio, "denn ein Kind kann nicht lernen, wenn es hungrig ist. Und kein Kind kann sich aus dieser Situation befreien, wenn es nicht lernt, für sich selbst zu sorgen und für seine Rechte einzustehen." Das sei der Unterschied zu anderen Schulen, fährt er fort: Die jungen Menschen würden begleitet, Schulgeld müssen sie nicht zahlen: "Wer sich hier einschreibt, ist Teil der 'Esperanza-Familie'!"
"Homeschooling" war schwierig
Struktur und Sicherheit: Beides fiel durch die landesweiten Schulschließungen seit dem Frühjahr 2020 wegen Corona für viele Kinder und Jugendliche weg. Zwar habe man sich bemüht, alle Angebote auf anderem Weg aufrecht zu erhalten, aber die Umstellung auf Fernunterricht war schwierig, erklärt der Padre, weil die Wenigsten zu Hause einen Ort zum Lernen haben und dabei unterstützt würden.
Misael Ávila Cau Beb ist an einem Vormittag im Februar in die Schule gekommen, um seine Aufgaben bei der Lehrerin abzugeben und sich neue Arbeitsblätter abzuholen. "Die letzten zwei Jahre waren für mich sehr schwierig. Ich habe zwar meine Aufgaben gemacht, aber in der Schule fällt mir das leichter", erzählt der 13-Jährige. "Ich habe keinen Computer und komme nur manchmal mit dem Handy meiner Mutter ins Internet, um mir die Aufgaben herunterzuladen."
Lernen im Armenviertel
Ähnlich erging es auch Kristel Chuc Pakay. Sie wohnt mit ihrer Mutter und ihren drei Schwestern nicht weit entfernt von der Schule: Der Weg zu ihr nach Hause führt über staubige Schotterwege, rechts und links säumen Wellblechhütten den Weg. Die Hütte der Familie ist aus einfachen Holzbrettern zusammengezimmert, der Fußboden besteht aus nacktem Lehm.
Hier hat Kristel eine kleine Schreibtischecke, wo sie gerade gewissenhaft geometrische Formen in ihr Heft zeichnet, aber nicht alles ging beim Fernunterricht leicht: "Manchmal habe ich etwas verstanden und manchmal nicht", sagt sie, "dann habe ich meine älteren Schwestern um Hilfe gebeten. Aber meine Freundinnen aus der Schule habe ich sehr vermisst."
Für ihre Mutter waren die letzten zwei Jahre ein Spagat: Miriam Pacay ist Witwe, ihr Mann starb vor einigen Jahren an Krebs, seitdem muss sie alleine für die Familie sorgen. Arbeiten und gleichzeitig ihre Töchter beim Lernen unterstützen: Das war für sie fast nicht schaffbar. "Natürlich haben die Kinder nicht so viel gelernt, wie in der Schule. Ich bin keine Lehrerin, ich weiß nicht, wie man unterrichtet. Und manche Fächer, wie zum Beispiel Mathematik, kann ich auch nicht. Wir Eltern haben getan, was wir konnten, aber das kann Schulunterricht nicht ersetzen."
Comunidad Esperanza bringt Hoffnung
Ihre Töchter zum Arbeiten zu schicken, war dennoch nie eine Option: Sie sollen eine Ausbildung bekommen und später einen richtigen Beruf erlernen, sagte sie: "Meine Kinder sollen es einmal besser haben als ich." Die Comunidad Esperanza ist für sie und viele Familien in dem Viertel eine Hoffnung, im wahrsten Sinne des Wortes: "Wir müssen uns keine Sorgen um das Schulgeld, die Bücher und die Unterrichtsmaterialien machen", sagt Miriam. "Und es gibt Essen und ärztliche Versorgung. Wir wissen, dass wir hier immer Hilfe finden, wenn wir Probleme haben!" Adveniat unterstützt die Schule seit vielen Jahren durch die Finanzierung von Gehältern und Zuschüsse für Lebensmittel und Medikamente.
Seit dem 15. Februar 2022 dürfen die Schulen in Guatemala offiziell wieder öffnen, de facto blieben viele Schulen auch in den Wochen danach geschlossen, weil die lokalen Inzidenzen zu hoch waren. In der "Comunidad Esperanza" versucht man es jetzt mit Wechselunterricht, in kleinen Gruppen und mit vielen Hygienemaßnahmen.
Das Evangelium mit Leben füllen
Das Bildungsministerium war dabei keine große Hilfe, klagt Padre Sergio und man merkt ihm an, wie sehr ihn das Thema empört: "Für die Politik waren die Kinder und Jugendlichen nie wichtig! Die aktuelle Regierung ist eine der korruptesten in ganz Lateinamerika und das, was sie am allerwenigsten gemacht hat, ist Pandemiebekämpfung!“
Eigentlich, findet er, mache die "Comunidad Esperanza” eine Arbeit, die Aufgabe der Regierung sei: "Wir machen das, weil wir wissen, dass sich sonst niemand um die armen Kinder und Jugendlichen kümmern würde."
Seit 19 Jahren versuchen er und seine Mitarbeiter jetzt schon, die Lebensumstände der Menschen in den Armenvierteln von Cobán zu verbessern. Bildung ist der Schlüssel dazu, der Glaube die Motivation: "Das ist die konkreteste Art und Weise, unseren Glauben zu leben", erklärt Padre Sergio: "Indem wir uns in den Dienst der Ärmsten stellen, leben wir das Evangelium und füllen es mit Leben.“