Adveniat sieht ein zunehmendes Spannungsfeld in Venezuela

Weihnachten im Oktober?

Per Dekret zieht Präsident Nicolás Maduro Weihnachten in Venezuela auf den 1. Oktober vor. Das bleibt nicht ohne Kritik seitens der Kirche. Über die Hintergründe spricht Thomas Wieland vom Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat.

Autor/in:
Jan Hendrik Stens
Venezuela: Ein Land in einer tiefen Krise / © David Ortega Baglietto (shutterstock)
Venezuela: Ein Land in einer tiefen Krise / © David Ortega Baglietto ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: Beobachter sprechen davon, dass Nicolás Maduro mit der Vorverlegung des Weihnachtsfestes die Bevölkerung in Schach halten und von den eigentlichen Problemen ablenken will. Worum geht es da?

Thomas Wieland, Adveniat / © Martin Steffen (Adveniat)
Thomas Wieland, Adveniat / © Martin Steffen ( Adveniat )

Thomas Wieland (Abteilungsleiter Ausland beim katholischen Lateinamerika-Hilfswerk Adveniat): Die Regierung gibt in der Regel in der Weihnachtszeit noch einmal zusätzliche Lebensmittel für die Bevölkerung. Das ist wohl der Hintergrund. Nach den Wahlen, die ja offensichtlich gefälscht sind und die zu erheblichen Protesten im Land geführt haben, will die Regierung etwas tun, um die Bevölkerung zu befrieden. 

Deswegen der Hinweis auf das Weihnachtsfest, verbunden mit dem Aufhängen von Lichtern in der Stadt Caracas. Das kontrastiert ein bisschen mit den regelmäßigen Stromausfällen, die es in Venezuela zurzeit verschärft gibt.

Allerdings hat sich die Bischofskonferenz dagegen gewehrt, dass man das Weihnachtsfest nicht instrumentalisieren sollte. Die Menschen feiern trotzdem am 24. und 25. Dezember das Weihnachtsfest. Maduro geht es vor allem darum, Segnungen und Weihnachtsgeschenke schon etwas früher als üblich der Bevölkerung zukommen zu lassen.

DOMRADIO.DE: Christmetten wird es also nicht schon im Oktober geben, sondern erst in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember. Über 90 Prozent der Bevölkerung in Venezuela ist römisch-katholisch. Dennoch gilt das Verhältnis zwischen Kirche und Staat als kompliziert. Worin äußert sich das?

Thomas Wieland

"Die Auseinandersetzung rührt daher, dass die katholische Kirche breit im Land anwesend ist und viel für die Menschen tut."

Wieland: Das äußert sich darin, dass der Staat versucht, kirchliches Handeln einzuschränken. Es gibt zurzeit im Parlament ein Nichtregierungsgesetz, das kirchlichen Akteuren - vor allem wenn sie nicht so eng in kirchliche Strukturen eingebunden sind - Handlungsspielräume einschränkt. Es gibt polemische Aussagen gegenüber der katholischen Kirche. 

Die Auseinandersetzung rührt daher, dass die katholische Kirche breit im Land anwesend ist und viel für die Menschen tut. Zurzeit sind es viele humanitäre Initiativen, die gestartet werden. Aber es gibt auch Versammlungsorte, wo man die politische Situation diskutiert und analysiert und sich nicht unbedingt immer zugunsten der Regierung äußert. Das sorgt für ein Spannungsverhältnis, weil die katholische Kirche doch nach wie vor viele Menschen versammeln kann.

Nicolas Maduro (r), umgeben von Soldaten / © Marcelo Garcia (dpa)
Nicolas Maduro (r), umgeben von Soldaten / © Marcelo Garcia ( dpa )

DOMRADIO.DE: Wie geht denn der Vatikan in seiner Diplomatie damit um? Einige Bischofssitze sind vakant. Es gab zwischenzeitlich einmal einen Erzbischof, der Erzbischof von zwei Erzbistümern war. Und seit Mai diesen Jahres ist Erzbischof Alberto Ortega Martín Apostolischer Nuntius. Vorher war er Nuntius in Chile, wo er die Erarbeitung einer neuen Verfassung miterlebte. Welche Rolle spielt er im Konflikt zwischen der Regierung Maduros und der Kirche?

Thomas Wieland

"Allerdings ist die Diplomatie des Vatikans eher still."

Wieland: Man kann sagen, dass es vielleicht so drei Schienen gibt, über die die Kirche auf die Krise und die verstärkte politische Krise seit den letzten Wahlen reagiert. Zunächst einmal gibt es die Kanäle des Vatikans. Man muss auch wissen, dass Staatssekretär Kardinal Parolin ehemals Nuntius in Venezuela war und die Verhältnisse sehr gut kennt. Man muss wissen, dass Arturo Sosa, der Generalobere der Jesuiten, Venezolaner ist.

Es gibt also im Vatikan sehr gute Kenntnisse über die Vorgänge in Venezuela. Allerdings ist die Diplomatie des Vatikans eher still. 

Die Bischofskonferenz äußert sich und ihr kommt auch diese Rolle zu, das Verhältnis zur Regierung zu gestalten. Und sie legt den Akzent auf Dialog und Veröffentlichung der Wahlakten, um transparent zu machen, wie die tatsächlichen Ergebnisse der letzten Präsidentschaftswahlen waren. 

Thomas Wieland

"Denn Polarisierung nützt dem Regime, Verständigung nützt den Menschen."

Und es gibt eine dritte Schiene. Das sind zwei Kardinäle, Kardinal Baltazar Enrique Porras Cardozo und Kardinal Diego Rafael Padrón Sánchez, beides Venezolaner. Porras war Erzbischof von Caracas. Der hat auch ein Zeit lang, worauf Sie gerade angespielt haben, zwei Bischofssitze gleichzeitig gehabt. Und Kardinal Padrón ist ehemals Vorsitzender der venezolanischen Bischofskonferenz. Beides sind sehr erfahrene Männer, beide betagt und nicht mehr im kirchlichen Dienst aktiv. 

Krise in Venezuela / © Ariana Cubillos (dpa)
Krise in Venezuela / © Ariana Cubillos ( dpa )

Sie benennen seitens kirchlicher Stellen die Schwierigkeiten. Sie bezeichnen die Wahlen als gefälscht und treten mit einer großen und klaren Positionierung in der Öffentlichkeit auf. Damit gibt es seitens der katholischen Kirche verschiedene Spielräume, die mit dem Ziel der Verständigung auf nationaler Ebene zu bespielen sind. Denn Polarisierung nützt dem Regime, Verständigung nützt den Menschen. Deswegen ist das der Ansatzpunkt, den die katholische Kirche in Venezuela fährt.

DOMRADIO.DE: Man hört aus anderen lateinamerikanischen Ländern auch manchmal Ähnliches. Ganz besonders schlimm scheint es in Nicaragua zu sein, wo sogar Priester des Landes verwiesen werden. Inwiefern ist denn die Situation in Venezuela damit vergleichbar?

Wieland: Beides sind diktatorische Systeme, die vor Gewalt nicht zurückschrecken. Der Unterschied in Nicaragua ist, dass das Vorgehen gegen kirchliche Amtsträger bis hin zu Bischöfen gewalttätig ist: Einsperren, Foltern, des Landes verweisen. Das sehen wir in Venezuela nicht. 

In Nicaragua ist es auch noch einmal deutlich anders, dass die kirchlichen Besitztümer und auch die Institutionen verstaatlicht werden. Universitäten werden der Kirche weggenommen. Aber nicht nur der Kirche wird etwas weggenommen, sondern es gibt ein breites Vorgehen gegenüber Nichtregierungsorganisationen, die verboten werden, deren Besitztümer eingezogen werden. Das sehen wir in Venezuela noch nicht. 

Thomas Wieland

"Adveniat hilft, dass die Kirche ihre Aufgabe wahrnehmen kann."

Vielleicht ist auch noch einmal der internationale Kontext interessant. Denn Nicaragua und Venezuela sind auf der Weltbühne Austragungsorte für den internationalen Konflikt zwischen den Vereinigten Staaten, Europäischer Union, Iran, Russland und auch der Türkei, die dort auch ihre Delegierten hinschicken, die finanziell unterstützen und auch mit spezieller Software die Geheimdienste unterstützen. Das ist vielleicht noch eine Ähnlichkeit in den beiden Ländern.

DOMRADIO.DE: Inwiefern wirkt sich dann die politische Situation in Venezuela auf Ihre Arbeit vor Ort aus?

Wieland: Wir sind als Unterstützer der Initiativen der katholischen Kirche durch Medikamente und Nahrungsmittel, durch die Unterstützung der Flüchtenden gefragt. Denn die Menschen verlassen in Scharen Venezuela.

Durch die Unterstützung von Akteuren, die auch im politischen Feld aktiv und beratend tätig sind, hilft Adveniat und versucht so zu gewährleisten, dass die Kirche ihre Aufgabe wahrnehmen kann.

Das Interview führte Jan Hendrik Stens.

Adveniat

Adveniat ist das Hilfswerk der deutschen Katholiken für die Kirche Lateinamerikas. Der Name leitet sich ab von der lateinischen Vaterunser-Bitte "Adveniat regnum tuum" ("Dein Reich komme"). 

Bischöfliche Aktion Adveniat e. V. (Adveniat)
Bischöfliche Aktion Adveniat e. V. / ( Adveniat )
Quelle:
DR