domradio.de: Am Sonntag stürmten Bewaffnete einen Gottesdienst in Caracas und hielten politische Reden gegen die Kirche. Was ist passiert?
Thomas Wieland (Leiter der Projektabteilung beim bischöflichen Hilfswerk Adveniat): Wir kennen die Pfarrei San Pedro Claver im Westen von Caracas. Es ist ein sozialer Brennpunkt, wo die Franziskaner aktive Sozialpastoral betreiben. Sie arbeiten mit Jugendlichen, haben eine Armenküche und einen Gesundheitsposten. Offensichtlich stört diese Arbeit die Regierung. Und so haben Bewaffnete diese Kirche gestürmt, die Türen geschlossen und politische Reden gehalten. Diese Auseinandersetzung zwischen Kirche und Anhängern der chavistischen Regierung in Venezuela spitzt sich nicht nur in Caracas immer weiter zu, sondern auch an vielen anderen Stellen im Land. Sie äußert sich sowohl in verbaler Aggression, als auch zum Teil in gewaltsamen Auseinandersetzungen.
domradio.de: Also ist dieser Angriff in Caracas kein Einzelfall…?
Wieland: Der Vorsitzende der Bischofskonferenz von Venezuela, Diego Padron, hat diesen Vorfall zum Anlass genommen, auf ähnliche Vorfälle am selben Sonntag hinzuweisen. In der Stadt Barquisemeto gab es den vielleicht noch gravierenderen Vorfall. Die Militärpolizei hat dort den Sonntagsgottesdienst geräumt. In einer anderen Stadt wurde das Bischofshaus angegriffen und mit Steinen beworfen. Diego Padron weist darauf hin, dass dies eine Zermürbungstaktik gegen die Kirche und alle Menschen ist, die eine religiöse Überzeugung haben und mit dem Vorgehen der Regierung nicht einverstanden sind.
domradio.de: Was hat die Regierung in Venezuela für ein Problem?
Wieland: Die sozialistisch motivierte Regierung ist angetreten, den Armen zu helfen. Nach Jahrzehnten der Misswirtschaft zeigt sich, dass in der Praxis genau das Gegenteil eingetreten ist. Es gibt keine Lebensmittel, keine Kleidung, keine Gesundheitsversorgung oder Medikamente. In den Städten fällt über Wochen die Wasserversorgung aus. Die Regierung hat die Armen entgegen ihre Versprechungen in die Misere geritten. Und es fällt ihr schwer, das anzuerkennen, dafür die Verantwortung zu übernehmen und einen Kurswechsel zu unternehmen.
domradio.de: Welchen Einfluss hat die katholische Kirche auf die Menschen im Land?
Wieland: Die katholische Kirche ist überall präsent, sowohl in den entlegenen Landregionen wie in den Städten. Sie spielt eine immer größere Rolle bei der Unterstützung der Armen. Es gibt viele verschiedene Sozialeinrichtungen, die den Leuten hilft, wenigstens das Nötigste zu erhalten und aus ihrer prekären Situation herauszukommen. Sie ergreift auch gegenüber der Regierung kritisch das Wort, allerdings nicht sehr kritisch, sondern bietet auch die Hand an, zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen Kräften zu vermitteln. Sogar Papst Franziskus hat in einem Brief an den venezolanischen Präsidenten Madura seine Vermittlung angeboten. Dieses Angebot hat die Regierung allerdings nicht aufgegriffen.
domradio.de: Sehen Sie irgendeinen Ausweg aus der Krise?
Wieland: Die Chance auf einen Dialog sind sehr schlecht. Es gab ja schon verschiedene Angebote. Ich befürchte, dass der Dialog mit den Menschen, die jetzt an der Macht sind, nicht möglich ist. Die Hoffnung ist, dass in der Regierung es Personen gibt, die einen Kurswechsel aus der Regierung heraus einleiten können. Zurzeit ist die Frontstellung aber sehr stark. Ich sehe eher schwarz.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.