AfD-Europawahlprogramm bestätigt die Vorbehalte der Kirchen

Ein grundlegend anderes Bild von Europa

Die EU gehört aus Sicht der AfD abgeschafft. Deren Alternative einer Wirtschafts- und Interessengemeinschaft unabhängiger Nationalstaaten untergräbt hingegen Frieden und Demokratie, befürchten die Bischöfe.

Autor/in:
Christoph Scholz
Blick auf die Flagge der Europäischen Union hinter Stacheldraht / © Melnikov Dmitriy (shutterstock)
Blick auf die Flagge der Europäischen Union hinter Stacheldraht / © Melnikov Dmitriy ( shutterstock )

Für die AfD läuft es beim Europawahlkampf nicht gerade rund. Die beiden Spitzenkandidaten, Maximilian Krah und Petr Bystron, gelten wegen ihrer Äußerungen und laufender Ermittlungen selbst den Rechtspopulisten als nicht mehr vorzeigbar. Mit Blick auf die Kirchen zeigt schon das Wahlprogramm eine grundsätzliche Unvereinbarkeit mit deren Position. 

Auf dem Katholikentag in Erfurt bekräftigten die Bischöfe mit dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) ihre Sorge um Demokratie und Frieden in Europa angesichts des Rechtspopulismus.

Die Differenzen beginnen beim Grundverständnis von Europa. So stellt die AfD in der Präambel ihres Programms fest: "Wir halten die EU für nicht reformierbar und sehen sie als gescheitertes Projekt." Stattdessen soll die Europäische Union zu einer neu zu schaffenden Europäischen "Wirtschafts- und Interessengemeinschaft" rückgebaut werden, "in der die Souveränität der Mitgliedstaaten gewahrt ist". An erster Stelle solle "das Wohl Deutschlands und seiner Bürger" stehen.

Europäische Identität wäre illusorisch

Dabei betont die Partei zwar, dass die griechische Philosophie, das römische Recht, das Christentum und die Aufklärung für Europa prägend seien. Für die eigenen Vorstellungen scheint das weniger zu gelten. Identitätsstiftend ist demnach die "Vielfalt der europäischen Kulturen und Sprachen", wobei es illusorisch sei, nationale Identitäten durch eine europäische Identität ersetzen zu wollen. Konkret bedeutet das die Rückabwicklung der Verträge von Schengen, Maastricht und Lissabon, da diese das Prinzip der Volkssouveränität ausgehöhlt hätten.

Für alle überzeugten Europäer war und ist die europäische Integration aber zuallererst ein Friedensprojekt. Die Abgabe von Souveränität ist somit auch eine Antwort auf die Erfahrungen des Ersten und Zweiten Weltkriegs.

Bischöfe: Völkischer Nationalismus ist unchristlich

Auch für die Kirchen ist die europäische Integration - bei allen Defiziten - ein Modell von Völkerverständigung, das die Gefahr einseitiger Nationalismen überwindet. Entscheidend ist dabei das Bekenntnis zu Menschenwürde und den Menschenrechten als grundlegende Werte. 

Papst Johannes Paul II. (Archiv) / © Anton Fuchs (KNA)
Papst Johannes Paul II. (Archiv) / © Anton Fuchs ( KNA )

Schon Papst Johannes Paul II. (1978-2005), der mit seinem Eintreten für die Universalität der Menschenrechte maßgeblich zum Fall der Mauer beigetragen hatte, warnte wie seine Nachfolger auf dem Stuhl Petri vor einem Aufleben von Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Daran schloss sich die Deutsche Bischofskonferenz mit ihrer Aussage an: "Völkischer Nationalismus ist mit dem christlichen Gottes- und Menschenbild unvereinbar."

Papst Franziskus verweist in seiner Enzyklika "Fratelli tutti" von 2020 darauf, dass "eine von gewissen Ideologien durchdrungene Idee des Volkes und der Nation mit neuen Formen des Egoismus und des Verlusts des Sozialempfindens" einhergehe.

Europa als Festung

Vordenkern der völkischen Rechten ist vor allem der Universalitätsanspruch des christlichen Menschenbildes ein Dorn im Auge. Das zeigt sich etwa in der Asylpolitik. So will die AfD Europa zur Festung ausbauen, mit Grenzschutzanlangen an den EU-Außengrenzenund erneuten Grenzkontrollen der Mitgliedstaaten in Eigenregie. 

Statt humanitärer Aufnahmeprogramme seien auf nationaler und europäischer Ebene "Remigrationsprogramme" gefordert, heißt es. Der beschönigende Begriff aus dem Vokabular der rechtsextremen Identitären Bewegung steht für Zwangsausweisungen bis hin zu Massendeportation von Migranten.

Eine solche Interessenpolitik hätte auch geopolitische Konsequenzen. Orientierungspunkt wäre nicht mehr die vom ersten Bundeskanzler Konrad Adenauer eingeleitete Westbindung oder der völkerrechtliche Ordnungsrahmen. Stattdessen spricht sich die AfD für eine Annäherung an Russland aus und interpretiert den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine als Konflikt von Großmächten, der den "natürlichen Interessen" Deutschlands, nämlich "fruchtbaren Handelsbeziehungen im europäisch-asiatischen Raum", diametral entgegenstehe.

So viel Eigeninteresse geht vielen zu weit

Ein solcher Vorrang deutscher Eigeninteressen als Leitmotiv der Europapolitik geht offenbar selbst anderen europäischen Rechtspopulisten zu weit - zumal wenn Krah als Spitzenkandidat gegenüber der italienischen Presse die Verantwortung der SS relativiert. Bei anderen europäischen Nationen steht das historische Gedächtnis unter ganz anderen Vorzeichen. 

So hat die "Fraktion Identität und Demokratie" im EU-Parlament mit Le Pens Nationaler Sammlungsbewegung Rassemblement National (RN), der italienischen Lega und der österreichischen FPÖ die AfD inzwischen ausgeschlossen.

Maximilian Krah, AfD Sachsen / © Michael Kappeler (dpa)
Maximilian Krah, AfD Sachsen / © Michael Kappeler ( dpa )

Krah, der sich selbst als Katholik versteht, wirft wiederum der katholischen Kirche vor, sich zu viel um "Politik, Klima und Gender" und zu wenig um geistliche Belange zu kümmern. Im Verhältnis von Staat und Kirche ist ihm stattdessen die Russische Orthodoxe Kirche ein Vorbild. 

Europa ist ein Demokratieprojekt 

So lobte er im Interview des Online-Portals "Corrigenda" jüngst das Moskauer Patriarchat für die Aussage, Russland sei zurzeit "der Katechon der Welt gegen den Vormarsch des Antichristen". Dass Patriarch Kyrill I. dem Angriffskrieg gegen die Ukraine von Anfang an einen religiös-ideologischen Überbau lieferte, stört Krah offenbar nicht.

Der in der Bischofskonferenz für Europa-Fragen zuständige Essener Bischof Franz-Josef Overbeck warb im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) eindringlich dafür, zur Wahl zu gehen. Angesichts der europakritischen bis -feindlichen Stimmen im Europäischen Parlament gehe es um eine grundlegende Entscheidung. Die EU sei heute nicht nur ein Friedensprojekt, sondern vor allem auch ein Demokratieprojekt.

Quelle:
KNA