Albert Koolen ist einer der letzten deutschen Arbeiterpriester

"Ich bin Kollege"

Er macht den gleichen Job wie alle anderen im Betrieb: Albert Koolen hält Mietwagen in Schuss und macht sie für den nächsten Kunden startklar. Doch es gibt da noch eine andere Seite in seinem Leben.

Der Arbeiterpriester Albert Koolen  / © Thomas Lammertz (KNA)
Der Arbeiterpriester Albert Koolen / © Thomas Lammertz ( KNA )

Feste Schuhe, blaue Arbeitshose und eine wärmende Weste. In der Kluft für die anstehende Spätschicht sieht Albert Koolen nicht wie ein Geistlicher aus. Schon jemals Priesterkleidung getragen? "Um Gottes willen", schießt es aus dem 59-Jährigen heraus. Er könnte, wenn er wollte. Er will aber nicht.

Abseits des "normalen" Kirchenalltags

Albert Koolen lebt eine Idee, die nur noch wenige Anhänger hat. Als einer der letzten Arbeiterpriester in Deutschland lebt er abseits des normalen Kirchenalltags. Und das bedeutet, sich mit einem Job seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Koolen malocht bei einer Firma am Düsseldorfer Flughafen, die Tag für Tag 2.000 Mietwagen in Schuss hält und für den nächsten Kunden startklar macht. Ein Job auf Mindestlohnniveau für den studierten Theologen.

Genau das macht den Arbeiterpriester aus: mit Billiglohn-Beschäftigen dieselben bescheidenen Verhältnisse teilen und als Christ in den prekären Verhältnissen Präsenz zeigen. "Ich bin Kollege", beschreibt Koolen seine Berufung. Von den 300 Mitarbeitern seines Betriebes sind 200 Mini-Jobber, fast alle mit ausländischen Wurzeln.

Die Kluft zwischen Kirche und Arbeiterschaft zu überwinden - mit diesem Ziel haben sich in den 1940er Jahren vor allem in Frankreich katholische Geistliche als Fabrik- und Hafenarbeiter verdingt. Ein Stachel im Fleisch einer verbürgerlichten Mittelstandskirche. Und schon damals eine Absage an den Klerikalismus. Weil sich Arbeiterpriester mit Gewerkschaften und Kommunisten paktierten, verbot der Vatikan 1959 die Bewegung. Das von Papst Johannes XXIII. angestoßene Zweite Vatikanische Konzil (1962-1965) ermöglichte dann wenige Jahre später wieder das priesterliche Leben im Arbeitermilieu.

Das hatte Albert Koolen zunächst gar nicht im Sinn. Sein Interesse an Theologie und Philosophie führte ihn zum Studium bei den Jesuiten in Frankfurt. Den eingeschlagenen Weg wollte er schon wieder abbrechen, bis er im sogenannten Freisemester in Brüssel eine Jesuiten-WG kennenlernte, die sich im sozialen Brennpunkt-Viertel Schaerbeek engagierte.

Beeindruckendes Vorbild

Und dann war da noch dieser Geistliche in seiner völlig verfallenen Bude, der in einer Automobilfirma jobbte und gewerkschaftliche Basisarbeit betrieb. "Seine kompromisslose Konsequenz und die politische Radikalität hat mich beeindruckt", blickt Koolen zurück. "Das ist eine Möglichkeit für mich, wie ich in der Kirche als Priester leben kann", habe er damals gedacht. Und so denkt er heute noch.

Als "kleinbürgerlicher Spießerstudent" habe er sich dann nebenher in einem Jugendzentrum am Frankfurter Stadtrand engagiert - häufig im Gefühl, "gleich eins auf die Fresse zu kriegen". Es folgten noch ein Zivildienst und eineinhalb Jahre Stadtteilarbeit in Köln-Kalk, bevor Koolen seinen speziellen Priesterwunsch dem damaligen Aachener Bischof Klaus Hemmerle antrug.

Der hatte durchaus Verständnis dafür, stellte Koolen aber zwei Bedingungen: Erst mal sollte er vier Jahre als Kaplan in einer "normalen" Pfarrei arbeiten. Und sich dann aber für mindestens fünf Jahre festlegen: für das "Leben und Arbeiten im entkirchlichten Milieu", wie es in der offiziellen Ernennungsurkunde für ihn und drei weitere Mitbrüder hieß.

Aus den 5 Jahren sind inzwischen 28 geworden. 1991 begann Koolen in einem Krefelder Textilunternehmen und erlebte später "den kompletten Untergang der Firma". Er spricht von der "bittersten Zeit" seines Lebens. Heute noch quält ihn der Gedanke, als damaliger Betriebsratsvorsitzender nicht genug gekämpft zu haben. Oder es bewegen ihn die Vorwürfe der Kollegen: "Du kriegst jetzt einen Job bei der Gewerkschaft." Doch wie sie wurde auch Koolen arbeitslos, nach 18 Jahren im Unternehmen.

Arbeitslosigkeit inklusive

Zu dieser Zeit meldete sich Hemmerles Nachfolger Heinrich Mussinghoff zu einem Gespräch an. Koolen dachte schon, er solle zurück in die Bistumsarbeit. Er erzählte dem Bischof von seiner Vita - und der meinte am Ende nur: "Ich glaube, die Arbeitslosigkeit gehört mit zu Ihrem Weg." Es dauerte ein halbes Jahr, bis Albert Koolen ein neues Auskommen fand. Seit Jahren wohnt er mit Flüchtlingen aus Sri Lanka in einer WG - und von ihnen bekam er den Tipp, es bei dem Service-Unternehmen für Mietwagen zu versuchen.

Mit Mission unter Mitarbeitern, woran Arbeiterpriester der ersten Stunde dachten, hält sich Koolen völlig zurück. Mancher seiner Kollegen weiß, dass er mal studiert hat, und diskutiert mit ihm über Grundfragen des Lebens. Oder über die sozialen Gegensätze und "extremen Lohnspreitzungen" in Deutschland.

Mit den Niedriglöhnern fühlt sich Koolen ganz am Rande der Gesellschaft. Aber auch in der Kirche stehe er "mit einem Fuß drin und mit dem anderen draußen". Die Verkoppelung von Priesteramt und Macht - gerade jetzt nach dem Missbrauchsskandal großes Thema - ist Koolen schon seit Studienzeiten ein Dorn im Auge. Sollen doch endlich mal Laien die Gemeinden leiten. Ab und zu hilft er sonntags in Pfarreien aus. Sonst feiert er regelmäßig Gottesdienste in einer psychiatrischen Klinik und mit einer kleinen Schwesterngemeinschaft.

Als Lichtblick empfindet Koolen Papst Franziskus und seinen Einsatz für Umwelt und gerechte Verhältnisse. Aber: «In Deutschland nimmt das ja keiner ernst.» In seinem Ansatz erkennen sich die Arbeiterpriester und inzwischen auch die sogenannten Arbeitergeschwister wieder. Denn längst engagieren sich nicht mehr nur katholische Geistliche, sondern auch Laien, Ordensleute oder evangelische Theologen für die Idee.

Koolen organisiert die Pfingsttreffen der zwei Dutzend Arbeitergeschwister, die sich im "Ilbenstädter Kreis" vernetzt haben. Zur nächsten Zusammenkunft in Herzogenrath hat sich auch Helmut Dieser angesagt, der noch nicht lange das Bistum Aachen leitet. Für Koolen wird das die erste Begegnung mit «seinem» Bischof. Der wird einen Priester kennenlernen, der keinen Hehl daraus macht, dass ihn eine "gewisse Unversöhntheit mit Kirche und Gesellschaft" bewegt.

Von Andreas Otto


Quelle:
KNA