DOMRADIO.DE: Was ist an der Vorstellung dran, dass Alleinlebende weniger zufrieden mit sich und der Welt sind?
Johanna Weddigen (Lehrbeauftragte an der CVJM-Hochschule Kassel und Autorin der Studie "Christliche Singles – Wie sie leben, glauben und lieben" des CVJM-Forschungsinstitut "empirica"): Erst einmal haben wir festgestellt, dass Alleinlebende eine sehr hohe Lebenszufriedenheit haben. Dieses Bild von einem eher unglücklichen Single, der alleine zu Hause sitzt, stimmt so definitiv nicht. Unsere Singles waren sehr aktiv, sehr lebensbejahend und sowohl von der Freizeitgestaltung als auch von der beruflichen Gestaltung und der Gemeinde-Gestaltung ganz proaktiv.
Allerdings hat das mit der Lebenszufriedenheit auch etwas mit dem Alter und mit dem Geschlecht zu tun. Wir haben schon gemerkt, dass es für Singles gerade zwischen 30 und 55 Jahren doch hart ist und dass da die Unzufriedenheit mit dem Singledasein noch mal größer ist. Das hat dann wieder Auswirkung auf die Lebenszufriedenheit.
Das hängt natürlich mit Dingen wie dem Kinderwunsch zusammen, von dem man sich dann vielleicht in dieser Zeit verabschieden muss. Oder dass Freundinnen und Freunde sehr in ihren Familien einbezogen sind. Das sieht vor 30 und nach 55 schon wieder anders. Das hat eben auch Auswirkungen darauf, wie sich die Singles fühlen. Aber insgesamt haben sie eine hohe Lebenszufriedenheit und sind glücklich mit vielen Bereichen.
DOMRADIO.DE: Sind die meisten Singles denn aus freien Stücken allein oder weil sie einfach keinen Partner oder keine Partnerin finden?
Weddigen: Die allermeisten Singles sind nicht freiwillig allein. Es sind wirklich nur drei Prozent, die sich, christlich gesprochen, zum Singledasein berufen fühlen.
Alle anderen geben an, dass sie noch nicht den richtigen Partner oder die richtige Partnerin gefunden haben. Oft war auch angegeben, dass Gott ihnen einfach noch nicht den richtigen Partner gegeben hat. Da gibt es verschiedene Deutungen, aber die meisten sind es nicht freiwillig.
DOMRADIO.DE: Wie beurteilen denn christliche Singles ihr Standing in der Kirche, in den Gemeinden?
Weddigen: Sie fühlen sich ausgeschlossen. Das kann man schon so sagen. Sie haben das Gefühl, dass eine hohe Familiennorm da ist. 30 Prozent der Singles, also gut ein Drittel, fühlen sich stigmatisiert in ihrer Gemeinde. Sie haben das Gefühl, dass ihre Lebensform nicht so akzeptiert ist wie die der Familien.
DOMRADIO.DE: Was wünschen sich diese Singles von ihren Kirchen?
Weddigen: Sie wünschen sich zum einen, mehr einbezogen zu sein und dass zum Beispiel in Predigten auch mal Beispiele für ihre Lebensform vorkommen. Sie wünschen sich Veranstaltungen, wo sie mal zusammenkommen können. Zum anderen wünschen sie sich, dass auch in der Leitung mehr Singles sind. Weil die natürlich automatisch einen etwas besseren Blick für die Bedürfnisse der Singles haben.
DOMRADIO.DE: Sie haben auch herausgefunden, dass manche Singles ihr Glück in alternativen Formen des Zusammenlebens finden und dadurch zufriedener sind als Alleinlebende. Und Sie sagen, die Kirche könnte doch mit Blick auf diese neuen Lebensmodelle eine Avantgarderolle übernehmen. Wie könnte das aussehen?
Weddigen: Indem man noch ein bisschen mehr an die größere Familie denkt. Bei Familie denken wir an die Kernfamilie: Mama, Papa, Kind, die zusammenleben. Es gibt aber auch gelebte Modelle, wo vielleicht auch mal die Tante mit dabei wohnt. Oder wo man ein Zimmer für einen Alleinlebenden hat, der mit in die Familie integriert wird. Solche Wohnprojekte schießen gerade in den Großstädten nach vorne. Diese Dinge kann die Kirche gut mit fördern und unterstützen.
DOMRADIO.DE: Vertun die Kirchen eine Riesenchance, wenn sie die Singles tatsächlich im Moment noch so vernachlässigen?
Weddigen: Ja, definitiv. Auch da gehört dazu, die Singles nicht defizitär anzusehen, sondern als eine Chance wahrzunehmen. Da sind tolle Menschen dahinter, die Power haben, um sich in den Gemeinden einzubringen, sich zu engagieren. Diesen Menschen müssen wir eine Plattform bieten, denn es gibt immer mehr Singles. Es wäre schade, wenn wir diese große Gruppe einfach ignorieren.
Das Interview führte Hilde Regeniter.