Autorin und KZ-Überlebende Ruth Klüger gestorben

"Alles ist der reine Zufall"

Als Mädchen schuftete sie für die Nazis im Steinbruch. Später wurde sie eine renommierte Autorin. Nun ist Ruth Klüger, eine Dame mit Sinn für Humor, gestorben. Rien ne va plus - ihr letztes Projekt bleibt unvollendet.

Autor/in:
Leticia Witte
Autorin und Holocaust-Überlebende Ruth Klüger gestorben / © Kay Nietfeld/picture alliance (dpa)
Autorin und Holocaust-Überlebende Ruth Klüger gestorben / © Kay Nietfeld/picture alliance ( dpa )

Die Äußerung muss man sich auf der Zunge zergehen lassen: Eine Holocaust-Überlebende sagt, es sei für sie eine Ehre, vor der Regierung von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) eine Rede im Deutschen Bundestag zu halten. Das war im Januar 2016, kurz vor dem 71. Jahrestag der Befreiung von Häftlingen des NS-Lagers Auschwitz-Birkenau und einer Gedenkstunde im Parlament in Berlin.

Eine bemerkenswerte Aussage

Gesagt hat den bemerkenswerten Satz die Schriftstellerin Ruth Klüger im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) - eine Frau, die als Kind in Lagern saß und der Judenvernichtung durch die Nationalsozialisten nur knapp entging. Welche Ehre es umgekehrt doch war, dass sie als Überlebende so etwas sagte. Jetzt ist die in Wien geborene, in die USA emigrierte und mehrfach ausgezeichnete Schriftstellerin gestorben. Nach Angaben des Wiener Zsolnay-Verlags starb Klüger in der Nacht zum Dienstag mit 88 Jahren nach langer Krankheit im Kreis ihrer Familie in Kalifornien.

Klüger kam am 30. Oktober 1931 als Tochter jüdischer Eltern in Wien zur Welt. Am 27. Januar 1945 befreiten Soldaten der Roten Armee die Häftlinge in Auschwitz. Das größte Nazi-Lager durchlitt auch Klüger. "Es gab eine Zeit, als meinesgleichen, also die Juden, ausgestoßen oder getötet wurden in diesem Land. Und plötzlich ist da eine Regierung, die Flüchtlinge, die in Lebensgefahr sind, aufnimmt. Das beeindruckt mich sehr", sagte sie der KNA.

Und weiter: "Eine Rede vor dieser Regierung halten zu können, nicht irgendeiner, sondern dieser, mit Herrn Gauck und Frau Merkel, das ist mir eine Ehre." In ihrer Rede im Bundestag gedachte Klüger dann unter anderem des Schicksals von Zwangsprostituierten in den Lagern.

Die Lager überlebt

Aber auch ihre eigene Situation als Zwangsarbeiterin war Gegenstand ihrer Erinnerungen im Bundestag. Die klirrende Kälte im Winter von 1944/45. Die schwere Arbeit als junges Mädchen in einem Steinbruch - wegen der sie die Haft überlebt hat, wie sie sagte. Die Nazis hatten Klüger in die Lager Theresienstadt, Auschwitz und Christianstadt verschleppt. Sie floh mit Mutter und Pflegeschwester auf einem Todesmarsch. Der Vater überlebte nicht.

Zuvor war sie auch wegen einer Lüge durchgekommen. In Auschwitz sei sie erst zwölfeinhalb Jahre alt gewesen und habe behauptet, sie sei 15. Viele Menschen, mit denen sie aus Theresienstadt angekommen sei, seien vergast worden. "Es war also im letzten Moment." Sie habe sich nach dem Rat einer Frau älter gemacht, um in die Gruppe Arbeitsfähiger zu kommen. Ihr Fazit: "Alles ist der reine Zufall."

Es hat lange gedauert, bis sich Klüger auch öffentlich mit ihrer Vergangenheit auseinandersetzte. Es sei leichter gewesen, darüber zu schreiben als zu sprechen, sagte sie einmal. 1992 erschien das Buch "weiter leben. Eine Jugend", das in zehn Sprachen übersetzt wurde. "Der Tod, nicht Sex war das Geheimnis, worüber die Erwachsenen tuschelten, wovon man gern mehr gehört hätte", so lautet der erste Satz. Zu diesem Zeitpunkt lebte Klüger in Wien; erlebte als Kind, dass Jüdischsein bedeutete, nicht mehr ins Kino gehen oder andere normale Dinge tun zu dürfen.

Auswanderung in die USA

1947 wanderte sie in die USA aus, studierte Anglistik und Germanistik. Dieses Fach lehrte sie später an der University of Virginia, in Princeton und an der University of California in Irvine. 2008 erschien "unterwegs verloren. Erinnerungen" über Klügers Leben und ihre international anerkannte Arbeit nach dem Zweiten Weltkrieg.

Fünf Jahre später wurde "Zerreißproben. Kommentierte Gedichte" mit Gedichten Klügers ab 1944 veröffentlicht. Gedichte hätten ihr geholfen, den Holocaust zu überleben. "Beim Schreiben eigener Lyrik setzte sie sich immer wieder mit Adornos berühmtem Satz 'Nach Auschwitz Gedichte zu schreiben ist barbarisch' auseinander, um ihn dann doch achselzuckend beiseitezuschieben", so der Verlag.

Zsolnay-Leiter Herbert Ohrlinger würdigte Klüger, eine Dame mit Sinn für Humor, am Mittwoch als einen Menschen mit seltener Ausstrahlung. Es sei "außerordentlich", was sie aus ihren Erfahrungen gemacht habe. "Ab und zu fuhr sie mit Freunden nach Las Vegas, um zu spielen. Sie plante, a la Dostojewski einen Spieler-Roman zu schreiben." Dieses letzte Projekt bleibt nun unvollendet.


Quelle:
KNA
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