Holocaust-Überlebender Max Mannheimer wäre 100 Jahre geworden

Ein Versöhner mit Witz und Charme

Das Trauma saß tief: Max Mannheimer verlor fast seine gesamte Familie in der Schoah. Dennoch trat er als Zeitzeuge auf und wollte vor allem junge Menschen mit seinen Erinnerungen erreichen - auf seine ganz eigene Weise.

Autor/in:
Leticia Witte
Max Mannheimer / © Soeren Stache (dpa)
Max Mannheimer / © Soeren Stache ( dpa )

Max Mannheimer gehörte zu den Unermüdlichen. Der Holocaust-Überlebende war einer der prominentesten Zeitzeugen und Kämpfer gegen das Vergessen der NS-Verbrechen. Lange stand er an der Spitze der Lagergemeinschaft Dachau und war zudem Vizepräsident des Internationalen Dachau-Komitees.

Für sein Engagement erhielt der Versöhner viele Auszeichnungen, etwa das große Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland. Seine Botschaft an die Nachgeborenen: "Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon." An diesem Donnerstag wäre Mannheimer, der auch als Schriftsteller und Maler tätig war, 100 Jahre geworden.

Auf Israelitischem Friedhof in München begraben

Beinahe hätte er diesen besonderen Geburtstag erlebt - aber auch so erreichte Mannheimer mit 96 ein hohes Alter. Zu seinem Tod am 23. September 2016 wurde noch einmal deutlich, welches Ansehen sich Mannheimer erworben hat. Begraben liegt er auf dem Israelitischen Friedhof in München.

So würdigte ihn etwa der damalige Bundespräsident Joachim Gauck als "großartigen Menschen", der stets für Rechtsstaat und Demokratie eingetreten sei. Und für den Vorsitzenden der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, war Mannheimer ein "unmissverständlicher Mahner" mit einem visionären Blick auf gesellschaftliche Entwicklungen in Europa.

Geboren wurde Mannheimer am 6. Februar 1920 als ältestes von fünf Kindern einer Kaufmannsfamilie im mährischen Neutitschein (Novy Jicin). Ende der 1930er Jahre waren er und seine Familie bereits mit Antisemitismus konfrontiert. 1942 heiratete er seine erste Ehefrau, Anfang 1943 wurde die Familie über Theresienstadt nach Auschwitz deportiert. Kurz darauf wurden Mannheimers Eltern, seine Schwester, einer seiner Brüder und seine Ehefrau ermordet.

Im Oktober desselben Jahres kamen Max und sein Bruder Edgar, die einzigen Überlebenden, nach Warschau und mussten dort Zwangsarbeit verrichten. 1944 wurden sie in das KZ Dachau gebracht und in mehreren Außenlagern eingesetzt. 1945 wurde Mannheimer erneut deportiert - und schließlich am Starnberger See befreit. Mit seiner neuen Ehefrau in Deutschland zu bleiben, war für ihn eine schwierige Entscheidung.

Fast die gesamte Familie verloren

Dass er fast seine gesamte Familie verloren hatte, prägte Mannheimer tief. In Erinnerung an seinen Vater signierte er seine Gemälde mit "ben jakov", Sohn des Jakob, so die Gedenkstätte Dachau.

"Weit über hundert Angehörige hat er verloren. Aber über seine Geschichte wurde nicht gesprochen. Wenn man ihn fragte, ist er ausgewichen", berichten seine Enkel in dem neu erschienenen Buch "Leben mit Auschwitz". Er habe gesagt, er wolle seine Familie mit seinen Erlebnissen nicht konfrontieren. Die Enkel entwerfen das Bild eines Mannes, der von Trauma und Depression gezeichnet, zugleich aber auch ein Charmeur war, der Menschen zum Lachen bringen wollte.

Erst Jahrzehnte nach seiner Befreiung konnte er öffentlich über seine Erlebnisse sprechen. 1985 berichtete Mannheimer erstmals in einem Beitrag für die "Dachauer Hefte" über seine Verfolgungsgeschichte.

Seine Erinnerungen legte er später auch in dem Band "Spätes Tagebuch" vor. Seine Enkel berichten davon, dass er in seiner Rolle als Zeitzeuge etwa in Schulen zu Beginn Beruhigungsmittel habe nehmen müssen, bevor er immer mehr "Routine" bekommen habe.

Rastlos bis zum Tod

Mannheimer war es auch, der Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu einem Besuch 2013 nach Dachau eingeladen hatte. Damals sagte er über seine Bücher: "Ich kann nichts dafür. Sie sind Longseller, keine Bestseller." Seine Enkel schreiben: "Letztendlich wurde das zu seinem Lebenszweck: noch möglichst viele Menschen, vor allem jüngere, zu erreichen, um sie zu sensibilisieren dafür, dass so etwas nie wieder geschieht." Ihr Großvater sei rastlos bis zu seinem Tod gewesen.

Nun, zu seinem 100. Geburtstag, würdigt ihn die Stiftung Bayerische Gedenkstätten als "steten Mahner für Demokratie und Menschlichkeit".

Die Präsidentin der Israelitischen Kultusgemeinde München und Oberbayern, Charlotte Knobloch, erinnert daran, dass Mannheimer "mit Witz und Charme und zugleich sehr bestimmt" Missstände benannt habe.


Quelle:
KNA