Alois Glück zum außenpolitischen Vorstoß des Bundespräsidenten

"Wir können nicht auf einer Insel der Seligen bleiben"

Die Debatte über mehr Auslandseinsätze der Bundeswehr hat an Schärfe zugenommen. Am Sonntag stärkte der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), Alois Glück, dem durch seine Forderungen in die Kritik geratenen Bundespräsidenten Joachim Gauck den Rücken. Deutschland müsse generell international mehr Verantwortung übernehmen, sagte Glück (74) in einem Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).

Katholikentag: Alois Glück und Joachim Gauck (dpa)
Katholikentag: Alois Glück und Joachim Gauck / ( dpa )

KNA: Herr Glück, wie bewerten Sie die von Bundespräsident Joachim Gauck angestoßene Debatte?

Glück: Sie ist notwendig. Wobei der Bundespräsident Militäreinsätze nicht in den Mittelpunkt gestellt hat. Sie können immer nur das letzte Mittel sein. Generell mahnt er eine stärkere Bereitschaft Deutschlands an, auch international Verantwortung wahrzunehmen. Das ist richtig. Wir können auf Dauer nicht nur Profiteure der wirtschaftlichen Globalisierung sein, wir sind eine weltweite Schicksalsgemeinschaft. Das spüren wir bei allen sozialen, ökologischen und ökonomischen Fragestellungen, nicht zuletzt bei den Flüchtlingsbewegungen. Da kann eines der stärksten Länder Europas nicht abseitsstehen.

KNA: Wer über mehr Militäreinsätze im Ausland nachdenkt, zieht in Deutschland automatisch Abwehrreflexe auf sich.

Glück: Es gibt da eine natürliche Spannung, die gerade auch in den Kirchen existiert: zwischen der Friedensethik, pazifistische Strömungen eingeschlossen, und auf der anderen Seite der Notwendigkeit, gegebenenfalls auch mit militärischen Mitteln Menschen zu schützen. Selbstverständlich kann ein Bundeswehreinsatz im Ausland nie ein nationaler Alleingang sein. Doch unbestreitbar ist es bis heute wichtig, auf dem Balkan auch militärisch präsent zu sein, damit sich dort das Gemeinwesen entwickeln kann. Was man mit Soldaten nicht schafft: von außen demokratische Entwicklungen und rechtsstaatliche Prinzipien aufzwingen, wenn dazu in einem Land die Substanz fehlt.

KNA: Gauck wird für seine Äußerungen vor allem aus der evangelischen Kirche heraus zum Teil hart angefasst, er war ja mal selbst Pastor. Geschieht ihm Unrecht?

Glück: Ich halte diese Angriffe für falsch. Wir haben uns in Deutschland zu lange zurückgelehnt, weil die USA die Rolle des Weltpolizisten ausfüllte. Jetzt, wo es in vielen Regionen auf der Welt unruhig geworden ist, sind wir nicht willens, unsere Ruhebank zu verlassen. Das ist ein großes Problem. Noch einmal: Es geht nicht in erster Linie um mehr Militäreinsätze, aber darum, dass Deutschland seiner internationalen Verantwortung besser gerecht wird. Dann werden wir verstehen, warum viele Entwicklungen weit weg auch die Situation bei uns beeinflussen. Ich bin froh, dass der Bundespräsident dazu jenseits parteipolitischer Interessen Impulse setzt.

KNA: Ist Deutschland außenpolitisch generell zu passiv?

Glück: Die Bundeskanzlerin und der Außenminister nehmen in der europäischen Politik ihre Führungsaufgabe durchaus wahr. Unsere Gesellschaft ist insgesamt aber zu binnenorientiert in der Hoffnung, eine "Insel der Seligen" bleiben zu können.

KNA: Was ist daran so falsch?

Glück: Dieser Vorstellung liegt ein großer Irrtum zugrunde. Außerdem wird sie unserer moralischen Verpflichtung nicht gerecht. Dessen sollten wir uns gerade als Christen bewusst sein. Für uns als weltweit verbreitete katholische Kirche gilt es zu überlegen, wie wir eine Entwicklung zu einem Weltgemeinwohl befördern können. Es gilt, den bisher weitgehend nur national gültigen Maßstab der Gemeinwohlorientierung global zu weiten. Wir müssen uns stärker in die kulturellen Prägungen und Wertmuster anderer Völker hineindenken und -fühlen. Nur so werden wir besser die treibenden Kräfte der Entwicklungen in der Welt verstehen.

KNA: In diesen Tagen jährt sich zum 100. Mal der Beginn des Ersten Weltkriegs. Damals waren die Kirchenvertreter in den nationalen Doktrinen ihrer jeweiligen Länder gefangen und konnten keine friedensstiftende Kraft über die Fronten hinweg entfalten. Inwiefern hat sich das verändert?

Glück: Die Trennung von Kirche und Staat ist ein Segen. Die Kirchen haben dadurch an Freiheit gewonnen. Sie sind nicht mehr den Herrschenden verpflichtet. Heute ist kaum mehr vorstellbar, wie sich die Kirche damals von der Politik als williges Werkzeug instrumentalisieren ließ. Daran kann man sehen, dass die nostalgische Rede von einem kirchlichen oder religiösen Niedergang nicht stimmt. Die religiöse und auch die politische Lage heute ist verglichen mit damals ein großer Fortschritt - der freilich nur durch schmerzliche Erfahrungen gewonnen wurde.

Das Interview führte Christoph Renzikowski.


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