KNA: Herr Glück, hat sich Ihre Einstellung zur Atomkraft durch die Katastrophe in Japan verändert?
Glück: Sie hat mich noch mehr sensibilisiert. Ich habe schon Tschernobyl erlebt und damals die Position vertreten, dass wir uns nicht abhängig von der Kernenergie machen dürfen. Zu der Zeit waren aber nur die fossilen Brennstoffe Kohle, Gas und Öl als Alternativen verfügbar. Zugleich kamen auch die ersten Warnungen vor der Langzeitwirkung von Kohlendioxid auf das Klima. Heute haben wir mit den regenerativen Energien Alternativen mit Zukunft. Japan zwingt noch einmal zur vertieften Auseinandersetzung, wie wir Risiken neu bewerten müssen - auch im Vergleich der Alternativen - und wie wir die bestehende Abhängigkeit möglichst rasch überwinden können. Diese Katastrophe hat eine große Bedeutung, weit über die Kernenergie hinaus.
KNA: Inwiefern?
Glück: Das ist schon ein Wetterleuchten am Himmel mit Blick auf die Grenzen menschlicher Machbarkeit. Ich sehe auch die Gefahr, dass wir nach ungebremstem Fortschrittsoptimismus in die nächste Falle laufen, nämlich in die der Verweigerung, und damit unser Land in die Selbstblockade treiben.
KNA: Der Freiburger Erzbischof Robert Zollitsch hat davor gewarnt, die Debatte jetzt zu hektisch und emotional zu führen.
Glück: Die Bilder aus Fernost lassen keinen unberührt. Aber man darf eines nicht vergessen: Energiepolitik braucht einen langen Atem. Eine große Mehrheit für den Ausstieg zu haben, ist das eine. Doch jetzt müssen auch offener und ehrlicher als bisher die Alternativen deutlich benannt werden, mit allen Konsequenzen, von der Finanzierung bis zu den Standortentscheidungen für Kraftwerke und neue Stromleitungen. Eine einfache, problemlose Lösung gibt es nicht.
KNA: Sehen Sie Zusammenhänge zwischen Fukushima und der Weltfinanzkrise?
Glück: Es gibt einen gemeinsamen Nenner: Wir werden die Geister, die wir riefen, nicht mehr los. Wir verlieren die Beherrschung über Entwicklungen, die gestern noch als steuerbar galten. Ich glaube, wir müssen generell vorsichtiger und bescheidener werden im Blick auf das, was gestaltbar ist, was wir tatsächlich steuern und beherrschen können. Wir sind immer wieder in Gefahr, nur unseren momentanen Nutzen zu sehen und die längerfristige Verantwortung zu vernachlässigen. Hier sollte uns Japan eine Mahnung sein. Unsere heutige Art zu leben ist nicht zukunftsfähig.
KNA: Werden Sie mit den beiden Bischöfen in der Kommission einen christlichen Block bilden?
Glück: Es wäre nicht korrekt, ein christliches Monopol auf ethische Fragen zu beanspruchen.
KNA: Drei Monate haben Sie Zeit. Reicht das?
Glück: Wir sollten sicher bis dahin Orientierung liefern für die Entscheidungen, die dann anstehen. Ob es notwendig ist, darüber hinaus weiter zu beraten, wird sich zeigen.
Alois Glück zum Beginn der Arbeit der Atom-Ethikkommission
"Eine einfache Lösung gibt es nicht"
ZdK-Präsident Alois Glück ist von Bundeskanzlerin Merkel in die Ethikkommission zur Zukunft der Energieversorgung berufen worden. Im Interview spricht der CSU-Politiker über seinen delikaten Auftrag im Schatten der Reaktorruinen von Fukushima.
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