Hirtenbrief des Kölner Erzbischofs Frings zum Kriegsende

"Als sei es ein Herrenvolk, dem die anderen dienen müssten"

Die Kapitulation, das Kriegsende am 8. Mai 1945, gilt als Deutschlands "Stunde Null". Der Kölner Erzbischof Josef Frings setzte sich für die notleidende Bevölkerung ein und trat der Bürde einer deutschen Kollektivschuld entgegen.

Josef Kardinal Frings (KNA)
Josef Kardinal Frings / ( KNA )

Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) dokumentiert in Auszügen seinen Hirtenbrief zum Kriegsende vom 27. Mai 1945:

"Wir stehen am Rande eines furchtbaren und für Deutschland unglücklichen Krieges. Tausende von uns haben ihr Heim und ihre Habe verloren. Die Familien sind auseinandergerissen. Kaum einer ist unter uns, der nicht einen oder mehrere seiner nächsten und liebsten Angehörigen unter den Toten beklagt. Für diejenigen, die im Felde gestanden, die besten Jahre ihres Lebens geopfert haben und vielleicht zeitlebens die Spuren des Krieges an ihrem Leibe tragen, kommt das drückende Bewusstsein hinzu, dass alle Mühe vergebens war, ein großer Aufwand nutzlos vertan ist.

Zu alledem wiederholt sich der schmerzliche Vorgang von 1918, dass die Weltöffentlichkeit unserem Volke die Schuld an allem Unglück zuschreibt. In der Tat werden Dinge enthüllt, die im Namen des deutschen Volkes geschehen sind und als entsetzlich und himmelschreiend bezeichnet werden müssen.

Kirche gegen den Mythos von Blut und Rasse

1. Das deutsche Volk hat während dieser Jahre unter einem schweren Terror gestanden. Das autoritäre System duldete keinerlei Einfluss des Volkes auf die Maßnahmen der Regierung. Jede freie Meinungsäußerung war unterbunden; ja die meisten Gräueltaten blieben dem Volke verborgen, zumal allen Mitwissern unter Androhung schwerster Strafen der Mund verschlossen wurde.

Klar erkennbar wurde bald nach der Machtübernahme die Grundrichtung, die sogenannte Weltanschauung des Nationalsozialismus. Gegen sie nahm die katholische Kirche in Deutschland bald den offenen Kampf auf, darin bestärkt durch den Heiligen Vater in Rom, der in seinem Rundschreiben 'Mit brennender Sorge' die Irrlehre des Nationalsozialismus mit ungewöhnlicher Schärfe verurteilte.

In Wort und Schrift bekämpfte die Kirche den 'Mythos' von Blut und Rasse und brandmarkte ihn als Rückfall in den heidnischen Götzendienst. Sie trat ein für die wesentliche Gleichheit der Menschen aller Rassen. Bei den Pontifikalgottesdiensten zu Weihnachten 1943 und zu Ostern 1944 protestierte ich in der Predigt gegen das Unrecht, das an den Juden und den Angehörigen anderer Nationen geschah. Es ist in aller Erinnerung, mit welchem Nachdruck der Bischof von Münster gegen den Mord an sogenannten 'lebensunwertem' Leben Verwahrung einlegte.

In einem Hirtenwort zur Caritas-Kollekte des Jahres 1943 verkündeten wir das Gesetz der christlichen Feindesliebe und wandten uns gegen jede Art von Hasspropaganda. In einem gemeinsamen Hirtenschreiben vom Advent 1942 betonten wir mit heiligem Nachdruck das Recht als die Grundlage des Staatswesens, und im Fuldaer Hirtenschreiben vom Jahre 1943 legten wir die heiligen Zehn Gebote Gottes dar als das einzig tragfähige Fundament der öffentlichen Wohlfahrt. Als kurz vor Ausbruch des Krieges das Kreuz aus den Schulen entfernt wurde und die Erziehungsrechte der Eltern mehr und mehr unterdrückt wurden, hallten unsere Kirchen wider von dem flammenden Protest der Bischöfe, der Priester und der Gläubigen.

Geistliche und katholische Laien erduldeten Unsägliches

Manche unserer Geistlichen wanderten wegen mutiger Worte, die sie auf der Kanzel gesprochen, in die Gefängnisse und Konzentrationslager. Viele tapfere katholische Laien gingen wegen ihrer Treue zur Kirche den gleichen Weg und erduldeten Unsägliches für ihren Bekennermut. Gott allem weiß, wie viele den Tod erleiden mussten wegen ihrer Standhaftigkeit im Glauben.

Das katholische Volk besuchte mit vermehrtem Eifer den Gottesdienst, weil es wusste, dass ihm hier die Wahrheit Gottes auch gegenüber den herrschenden Machthabern verkündet wurde. Es ließ sich davon auch nicht durch Drohungen, durch offensichtliche Zurücksetzungen und schwerste Schädigungen abhalten und legte dadurch einen zwar stillen, aber wohlverstandenen Protest gegen Dinge ab, die zu ändern nicht in seiner Macht stand. Namenloses Unheil wäre dem deutschen Volke erspart geblieben, hätten auch seine Machthaber auf die Stimme der Kirche gehört!

Unrecht im Namen des deutschen Volkes

2. Es kam anders. Im Namen des deutschen Volkes ist von seinen Verantwortlichen aus ihren falschen Grundanschauungen heraus unsäglich viel Unrecht geschehen. Unsägliches hat das ganze Volk dafür gelitten und hat bereits viel Sühne dafür getan.

Zumal unser katholisches Rheinland hat als Grenzland die ganze Wucht des Krieges tragen müssen. Ein Gang durch die zerstörten Städte Köln, Essen, Düsseldorf, Mülheim, Oberhausen, Wuppertal, lässt unwillkürlich die Verse aus den Klageliedern des Jeremias in den Sinn kommen: 'Wie sitzt einsam die Stadt da, die einst so volkreich war; sie gleicht einer Witwe, die einst Königin unter den Völkern war. Ihr alle, die ihr vorübergeht, habet Acht und sehet, ob ein Schmerz gleich sei meinem Schmerze.'

Wer die Bombennächte nicht selbst miterlebt hat, kann sich schwer einen Begriff machen von der entsetzlichen Todesangst, die die Bewohner dieser Städte jahrelang durchlebt haben. Oft schien es uns, als könnten die Schrecken des jüngsten Tages nicht furchtbarer sein als das, was wir erlebten (...).

Und nun droht unserem Volke der Hunger, einmal weil Deutschland nicht imstande ist, sich selbst zu ernähren, und viele Wirtschaftszweige wegen mangelnder Arbeitskräfte im Unstand sind, sodann weil das Verkehrsnetz durch eigene Sprengungen und durch die verheerende Wirkung des Luftkrieges zerstört ist. (...) Tausende unschuldiger Kinder, Frauen und alter Leute strecken die Hände aus und bitten um Brot. Wer wird es über sich bringen, ihnen statt Brot einen Stein zu reichen, statt eines Fisches einen Skorpion?

Die Stimme Gottes hören und sich auf den Weg der Umkehr machen

3. Freilich, unser deutsches Volk muss die Stimme Gottes hören und sich bereitwillig auf den Weg der Umkehr machen! Aus allen seinen Schichten muss jener Dünkel schwinden, als sei es ein Herrenvolk, dem die anderen Nationen dienen müssten. (...) Alle müssen sich bewusst werden, dass Gott Ursprung und Ziel aller Wesen ist, dass ohne seine Hilfe die Bauleute vergebens bauen, der Wächter vergebens wacht, dass Gottes Ehre alles Tun und Denken der Menschen gewidmet sein muss.

Auch wir wollen unser Gewissen erforschen, ob wir in allem Gott die Ehre gegeben haben und nach seinen Geboten wandeln.

(...) Das Erziehungswerk der Familie werde organisch fortgesetzt in der Schule. Daher muss das Kreuz wieder seinen Einzug halten in die Schulräume. (...) Wir wollen die katholische Schule für katholische Kinder, damit der ganze Reichtum unseres Glaubens, seiner Lehre, seiner Liturgie, seines Brauchtums erzieherisch ausgewertet werden könne und ein neues Geschlecht heranreife, das nach dem Bilde Christi gestaltet ist.

(...) Wie manche Mutter, die einen oder mehrere ihrer Söhne oder den Gatten verlor, hat den Mut zum Leben wiedergefunden am Fuße des Kreuzes (...) Wie mancher Mann, dessen Existenz in einer einzigen Nacht zerbrach, der in Fesseln abgeführt wurde, ohne selbst zu wissen weshalb, fand die Kraft, sein Geschick aufrecht zu tragen in der unerschütterlichen Überzeugung, dass ein Gott im Himmel lebt (...)! Wohl dem Volke, das Gott als seinem höchsten Herrn dient! Wohl dem Menschen, der auf Gott seine Hoffnung setzt!

Liebe im Verhältnis der Klassen und Berufsstände untereinander

4. Ein solcher wird Recht und Ehrlichkeit zur Grundlage seines Strebens machen. Er wird sich hüten, fremdes Eigentum sich anzueignen, auch wenn es für den Augenblick verlassen und unbewacht ist, damit nicht der rechtmäßige Eigentümer, wenn er hoffnungsfroh in die Heimat zurückkehrt, alles ausgeraubt und geplündert vorfindet. Er wird sich hüten, durch unrechte Machenschaften, durch Verleumdung und Anschwärzung anderer, sich selbst zu den Stellen zu drängen und anderen das Brot zu nehmen.

(...) Lasst die Liebe walten auch im Verhältnis der Klassen und Berufsstände untereinander! Nicht nur dass der Arbeiter seinen gerechten Lohn erhalte, der ihn und seine Familie menschenwürdig ernährt und ihm erlaubt, bei Fleiß und Sparsamkeit ein kleines Eigentum zu erwerben; nein, das ganze Verhältnis von Arbeitern und Arbeitgebern werde aufgebaut auf dem Boden gegenseitigen Vertrauens; dem Arbeiter werde es ermöglicht, Interesse zu gewinnen am Wohlergehen seines Werkes und seines Berufsstandes, und es werde ein Weg gefunden, die Früchte der gemeinsamen Arbeit nach dem Maß des Verdienstes der einzelnen zu verteilen!

Möchte die Zeit kommen, da die Saat des Hasses, die zwischen den Völkern gesät wurde, endlich zum Erliegen kommt, und da alle erkennen, dass sie nach Gottes Willen eine große Familie bilden sollen, in der die Liebe Königin ist.

(...) Dazu segne euch und alle, die ihr noch schmerzlich vermisst, der allmächtige Gott, der Vater und der Sohn und der Heilige Geist! Allen aber, die der Krieg von eurer Seite gerissen hat, gebe er die ewige Ruhe!"

 

 

Quelle:
KNA