Tradition im katholischen Sinn sei nicht "ein Weiterreichen des immer Gleichen", sondern vielmehr ein Wachstumsvorgang, sagte Wanke bei einem Vortrag in Leipzig. "Es geht um immer neue Aneignung, nicht um Konservierung." Falsch wäre eine "Absicherungstaktik", die "am Buchstaben festklebt, die eigentliche Intention des Gottesgebotes vergisst und an den menschlichen Realitäten vorbeisieht".
"Kein Christentum zu verbilligten Preisen"
Zugleich sprach sich Wanke gegen ethische Nivellierungen aus: "Es gibt kein Christentum zu verbilligten Preisen, auch morgen nicht." Er warnte vor einem "religiösen Liberalismus", der sich dazu verleiten lasse, die christlichen Glaubenswahrheiten "auf den kleinsten gemeinsamen Nenner des heute Vermittelbaren" zu reduzieren.
Der Bischof erklärte: "Natürlich gibt es eine ganze Liste auch 'progressistischer' Missstände, die ihrerseits traditionalistische Gegenreaktionen auslösen." Als Beispiel nannte er "nachkonziliare liturgische Fehlentwicklungen", bei denen die Messe zu einem "Experimentierfeld religionspädagogischer Eiferer" geworden sei.
Austausch mit Weltreligionen und Säkularen
Populistische und extremistische Positionen drängten derzeit nicht nur im Bereich der Politik in den Vordergrund, kritisierte Wanke. Das Phänomen sei auch bei den Kirchen zu beobachten. So sei der christliche Glaube "nicht vom Abgleiten in religiöse Intoleranz gefeit".
Zum "Schutz" vor kirchlichen Extrempositionen empfiehlt der Bischof das Gespräch mit Weltreligionen und säkularen Kulturen: "Und zwar in gegenseitigem Respekt und im Wissen, dass es Werte und Zukunftsziele gibt, für die sich gemeinsame Anstrengungen lohnen." Ferner sei es für die Kirche wichtig, "immer wieder selbstkritisch auf die eigene Tradition und Praxis schauen und aus eigenen und fremden Erfahrungen zu lernen", so Wanke. Er leitete das Bistum Erfurt bis zu seinem krankheitsbedingten Rücktritt im Oktober 2012.