Mit päpstlichen Rundschreiben habe er immer so sein Problem gehabt - das gibt der emeritierte Bischof Erwin Kräutler zu. "Natürlich habe ich sie gelesen, aber es hat gedauert", so der 77-Jährige. Nur bei der 2015 veröffentlichten Enzyklika "Laudato si" sei das anders gewesen. "Bitte lesen und meditieren", rät der aus dem österreichischen Vorarlberg stammende Bischof, der von 1981 bis 2015 mit Xingu im Norden Brasiliens eine der flächenmäßig größten Diözesen leitete. Denn es gehe darum, diese Botschaft von Papst Franziskus um das bedrohte gemeinsame Haus nicht nur ernst zu nehmen, sondern umzusetzen.
"Verlorenes Paradies?" lautete das Thema am Freitagabend in München. Die Katholische Akademie in Bayern hatte mit Adveniat eingeladen, um über die bedrohte Schöpfung und die bedrohten Völker im Amazonasraum zu informieren. Sie stehen im Mittelpunkt der Weihnachtsaktion des Hilfswerks. Der Klimawandel, die rücksichtslose Ausbeutung von Rohstoffen, Wasserkraftwerke sowie gigantische Soja-, Zuckerrohr- und Palmölplantagen zerstören die Lebenswelt der Indigenen in diesem Gebiet zunehmend. Die Ortskirchen der neun Amazonas-Staaten setzen sich seit langem mit vielen Initiativen gegen diese Zerstörung ein.
Verantwortliches Miteinander
Sollte das Abholzen des tropischen Regenwaldes weitergehen, sind die Folgen auch in Europa zu spüren. Die Luft wird deutlich schlechter werden. Ein Papst, der seit Jahren damit lebt, dass ihm Teile seines rechten Lungenflügels entfernt wurden, mag deshalb eine besondere Sensibilität dafür haben. So wurden erstmals in einer Enzyklika überhaupt das Amazonasgebiet und seine Völker genannt. Die Punkte 37 und 38 sowie 145 und 146 gehen auf deren Problematik ein. Kräutler selbst, der vorab mit Franziskus darüber gesprochen hatte, war Ghostwriter.
Aber nicht nur dies freut den "Amazonas-Bischof". Theologisch gesehen sei es ein Highlight, dass dieser Papst zwei Aussagen aus dem Buch Genesis zusammenführe. "Macht Euch die Erde untertan" habe lange als Losung gegolten, die von den Menschen missbraucht worden sei, um die Natur zu vergewaltigen, so Kräutler. Der Herr habe aber auch den Auftrag des "Hegen und Pflegens" erteilt. Deshalb gelte es, den Fuß auf die Erde zu setzen und verantwortlich mit ihr umzugehen. Und noch etwas mache Franziskus deutlich. Es handle sich nicht nur um die "Umwelt", sondern letztlich um eine "Mitwelt", für die sich jeder verantwortlich fühlen müsse.
Kirche als verlässlicher Partner
Die indigenen Völker haben längst die Kirche als ihren Bündnispartner erkannt. Das 2014 gegründete länderübergreifende Netzwerk Repam (Red Eclesial Panamazonica) versteht sich als kirchliche Antwort auf die fortschreitende Zerstörung der Natur am Amazonas. Zugleich wird auf weltweite politische Hilfe gehofft. Weihbischof Eduardo Castillo Pino aus Ecuador setzt auf die Erfahrungen Deutschlands und Europas, die dort mit den Folgen der Industrialisierung gemacht wurden und zu sozialen Verwerfungen führten. Da müsse doch ein Bewusstsein entstanden sein, "dass wir eine andere Entwicklung brauchen".
Adveniat-Hauptgeschäftsführer Bernd Klaschka sieht als Gebot der Stunde "Global denken, lokal handeln". Dass damit ein Umdenken mit dem eigenen Lebensstil verbunden sein wird, ist absehbar. Die Verantwortlichen des Hilfswerks sind sich dessen bewusst. Einerseits bitten sie um Spenden für den guten Zweck, andererseits rufen sie zu einem neuen Umgang mit Lebensmitteln und Ressourcen auf.
"Als Kirche müssen wir manchmal auch gegen den Trend arbeiten", gibt der Münchner Kardinal Reinhard Marx zu bedenken. In Zeiten, in denen Eigeninteressen dominierten, "erinnern wir an das gemeinsame Haus zuerst". Dieses Bewusstsein müsse gefördert werden. Doch das sei keine "gmahde Wiesn", wie der Westfale Marx auf Bairisch deutlich macht.
Online-Petition für Unterstützung der Indianer
Er selbst unterzeichnet an diesem Abend eine Online-Petition. Darin wird die Bundesregierung aufgefordert, sich für den Erhalt der Lebenswelt der Yanomani-Indianer in Brasilien einzusetzen. Für den Ruhestand im bequemen Sessel ist auch Kräutler nicht geschaffen. Deshalb gibt er die Parole aus, noch mehr aus "Laudato si" zu machen.
Barbara Just