domradio.de: Ist der 56. Geburtstag ein Grund zum Feiern oder ein trauriger Anlass, weil eine Organisation wie Amnesty International immer noch gebraucht wird?
Guido Steinke (Sprecher Amnesty International Köln): Es ist beides: Ein Grund zum Feiern, weil sich seit 56 Jahren Menschen für Menschenrechte einsetzen. Ein trauriger Anlass, weil es uns immer noch gibt - und geben muss, leider. Menschen werden wegen ihrer Überzeugung inhaftiert, weil sie als Journalisten die Wahrheit sagen wollen, weil sie einer Religionsgruppe angehören, die nicht die Mehrheit ist in einem Land. Deswegen werden sie inhaftiert, gefoltert und zum Teil auch hingerichtet.
domradio.de: Die Nachrichten sind voll von Krisen in der Welt, Rechtspopulismus und Menschenrechtsverletzungen. Ist das nur ein Gefühl, dass das immer schlimmer wird auf der Welt?
Steinke: Ich glaube, dass ist ein Gefühl, weil die Medien viel präsenter sind. Auch durch das Internet bekommt man die Nachrichten viel schneller als früher. Ich bin jetzt schon seit über 30 Jahren bei Amnesty und ich habe den Eindruck, dass es weder besser noch schlechter wird, sondern dass es immer was zu tun gibt. In dem einen Land wird es besser, so haben wir jetzt einen Journalisten gehabt, der ist in Usbekistan frei gelassen worden. In anderen Ländern werden sie inhaftiert. Das ist immer ein Kommen und Gehen.
domradio.de: Gibt es denn einen Status, wo man sagt: "Dieses Land hat es jetzt 'geschafft', da ist jetzt die Menschenrechtssituation so, dass wir damit zufrieden sind"?
Steinke: Habe ich gedacht, aber jetzt hatten wir in Köln den Parteitag der AfD und da mussten wir auch wieder Flagge zeigen, also auch Demokratie muss immer wieder verteidigt werden - auch die Menschenrechte. Deutschland ist wirklich in einer glücklichen Situation, aber auch hier muss aufgepasst werden, dass es nicht kippt, dass nicht irgendein neuer Trump oder wie sie alle heißen an die Macht kommt und sagt: Jetzt bestimme ich!
domradio.de: Was ist denn Ihre Arbeit hier in Köln? Man müsste ja eigentlich davon ausgehen, dass die Situation hier relativ gut ist.
Steinke: Sie ist gut, aber wir arbeiten meistens auch nicht zum eigenen Land, sondern zu anderen Ländern. Wir machen zuerst einmal Aufklärungsarbeit, wir recherchieren, weil wir Regierungen nicht glauben, sondern wir überprüfen die Angaben der Regierungen und dann klären wir auf. Wir klären die Menschen in Deutschland darüber auf, was in der Welt alles passiert.
domradio.de: Haben Sie dann eine Art Patenländer?
Steinke: Wir arbeiten größtenteils in Gruppen, die haben aber keine Länder, sondern Themen, die sie bearbeiten. Das können auch Länder wie Brasilien sein, wir setzen uns aber meistens für bestimmte Menschen ein und die sind ja in bestimmten Ländern. In meiner Gruppe hatten wir Myanmar als Schwerpunkt und da gab es einen Comedian, der ein Interview gegeben hatte und dafür 32 Jahre in Haft sollte.
domradio.de: Und das fanden Sie nicht in Ordnung?
Steinke: Es gab damals in Myanmar einen Zyklon, einen Sturm, der ziemliche Verwüstung angerichtet hatte und die Regierung sagte, dass sie alles im Griff hätte und es keine Probleme gäbe. Der Comedian hatte Hilfe organisiert, daraufhin kam ein BBC-Journalist und fragte, was er denn da mache. Er sagte dann, dass er den Menschen helfe, weil nicht alles in Ordnung sei. Das hat das Militärregime damals als Beleidigung aufgefasst und ihn inhaftiert.
domradio.de: Hat Ihre Arbeit da Erfolge gehabt?
Steinke: Er ist freigelassen worden.
domradio.de: Wegen ihrer Arbeit.
Steinke: Auch. Wir machen auch Lobby-Arbeit, wir scheiben also auch Regierungen an, die eigene Regierung, wenn beispielsweise Frau Merkel ein Land besucht, geben wir ihr ein Päckchen mit und sagen: "Sprich auch bitte diese Fälle an, sprich bitte diese Menschen an, die sollen frei gelassen werden."
domradio.de: Macht Sie das dann auch stolz, wenn man dann so einen Erfolg hat und jemanden tatsächlich aus dem Gefängnis frei bekommen kann?
Steinke: Das ist ein Gänsehaut-Gefühl. Wenn man diesem Menschen dann gegenüber sitzt und sagt: "Puh, ich habe jetzt jahrelang für diesen Menschen Briefe geschrieben und mich eingesetzt, Lobby-Arbeit gemacht und an Regierungen geschrieben - und plötzlich ist dieser Mensch frei." Wir haben uns drei Jahre lang für ihn eingesetzt, insgesamt war er sieben Jahr ein Haft.
domradio.de: Wie oft hat man in so einem Prozess das Gefühl, dass man nicht weiterkommt, es keinen Sinn mehr hat und man nur aufgeben kann?
Steinke: Aufgeben nie. Aber man hat bei vielen Fällen das Gefühl, dass man sich einsetzt, aber ob das was bringt, weiß man nicht. Die andere Seite wäre aber, wenn wir uns nicht einsetzen würden, wären wir sicher, dass es nichts bringt. Deswegen: Jede einzelne Unterschrift, jeder einzelne Brief hilft.