Das Bild des dreijährigen Alan Kurdi steht aus Sicht von Amnesty International symbolisch für so vieles, was im vergangenen Jahr falsch gelaufen ist. Der kleine syrische Junge kurdischer Abstammung, der bei dem Versuch, aus seiner Heimat zu fliehen, im Mittelmeer ertrank und an der türkischen Küste angespült wurde, sei ein tragisches Beispiel für das Versagen der internationalen Gemeinschaft. In ihrem Jahresbericht 2015/2016, der am Mittwoch weltweit vorgestellt wurde, zieht die Menschenrechtsorganisation eine düstere Bilanz der Lage.
Die Staatengemeinschaft sei im vergangenen Jahr daran gescheitert, Lösungen für Krisen wie den Syrien-Konflikt zu finden und das Leid der rund 60 Millionen Flüchtlinge weltweit zu lindern, beklagte die Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland, Selmin Caliskan, bei der Vorstellung des Berichts in Berlin. Während neue Konflikte hinzugekommen seien, blieben ältere ungelöst und die internationale Hilfe rund um Syrien chronisch unterfinanziert. "Es erschlägt einen, was im Bericht steht", so Caliskan.
Hohe Anzahl von Menschenrechtsverletzungen
In ihrem Überblick beschreibt die Organisation die Menschenrechtslage in 160 Ländern. In 122 Ländern habe es im vergangenen Jahr Fälle von Folter gegeben, und in 61 Staaten seien gewaltlose Demonstranten von den Sicherheitsbehörden inhaftiert worden, sagte Caliskan. Zudem sei in rund zwei Dritteln der Länder die Presse- und Meinungsfreiheit weiterhin eingeschränkt. "Mindestens 150 Menschenrechtsverteidiger sind im vergangenen Jahr in Haft gestorben."
Menschliche Flüchtlingspolitik?
Scharfe Kritik übte die Generalsekretärin an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung. Die Regierung verliere bei ihrem krampfhaften Versuch, die Flüchtlingszahlen zu reduzieren, die Menschenrechte aus dem Blick. Das zeige sich auch an der Zusammenarbeit mit der türkischen Regierung, die "eklatant und regelmäßig" die Menschenrechte verletze. So würden etwa syrische Flüchtlinge aus der Türkei in ihre Heimat abgeschoben oder inhaftiert. Zugleich kritisierte Caliskan, dass zu wenige EU-Staaten Flüchtlinge aufnähmen.
Kritische Lage in Afrika
Die Afrikanische Union hat 2016 zum Jahr der Menschenrechte in Afrika erklärt. Das sei Grund zur Hoffnung, so der Bericht. Zugleich habe es im vergangenen Jahr schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen unter anderem in der Zentralafrikanischen Republik, im Sudan, Südsudan und der Demokratischen Republik Kongo gegeben. Im Südsudan etwa seien die Angriffe auf Zivilisten trotz des unterzeichneten Friedensabkommens zwischen den Konfliktparteien weitergegangen. In Nigeria, Mali oder Somalia haben laut Bericht terroristische Gruppen tausende Zivilisten getötet oder entführt.
Eritrea sei einer der repressivsten Staaten der Welt, sagte Caliskan. Der verpflichtende Militärdienst komme einer Zwangsarbeit gleich. Daher machten sich so viele Menschen aus Eritrea auf den Weg nach Europa. Ein Fluchtversuch werde jedoch als Hochverrat angesehen und mit dem Tode bestraft.
Menschenrechtskrise in Amerika
Auch in Amerika sei das Ausmaß der Menschenrechtskrise im vergangenen Jahr besonders deutlich geworden. Weiterhin lägen zehn der Länder mit der höchsten Gewaltrate in Lateinamerika und auf den karibischen Inseln, darunter Brasilien, Kolumbien, Mexiko und Venezuela, heißt es im Bericht. Zudem seien in den USA zum wiederholten Mal Todesurteile vollstreckt worden.
Staatliche Unterdrückung und religiöse Intoleranz
In den asiatischen Ländern beklagt der Bericht eine wachsende Zahl an Fällen von staatlichen Repressionen. Zwar gebe es mehr Menschenrechtsaktivisten, aber diese litten oftmals unter den staatlichen Behörden.
Auch die ethnische und religiöse Intoleranz nimmt nach Angaben der Menschenrechtler zu. In Laos, Myanmar, Pakistan, Sri Lanka und Vietnam gebe es Berichte von religiöser Diskriminierung. Auch in China werde die Religionsfreiheit weiterhin massiv beschränkt.
Positive Beispiele
Zugleich benannte Caliskan auch aus ihrer Sicht hoffnungsbringende Ereignisse. In Griechenland, Zypern, den USA und Irland hätten gleichgeschlechtliche Partnerschaften eine rechtliche Basis erhalten. Und die Willkommenskultur für Flüchtlinge in Deutschland sei ein ermutigendes Gegengewicht zur Asylpolitik der Bundesregierung.