Seine Gewänder und seine Mitra wirken manchmal ein bisschen groß - und seine Bewerbung als Kirchenoberhaupt, so verriet er vor seiner Inthronisierung, sei "eher ein Scherz" gewesen. Doch Justin Welby beweist sein Format, wenn er spricht. Denn der Primas der anglikanischen Staatskirche von England hat viel Erfahrung. Nicht als Bischof, denn das ist er erst seit kurzem. Aber sehr viel Lebenserfahrung. Nun ist noch ein sehr tiefgehendes Kapitel hinzugekommen: Mit 60 Jahren erfuhr Welby durch einen DNA-Test, dass er der uneheliche Sohn eines Privatsekretärs des verstorbenen Premierministers Winston Churchill ist.
"Finde Identität in Jesus Christus und nicht in der Genetik"
In einer persönlichen Erklärung schrieb er von "einer völligen Überraschung" zu erfahren, dass sein biologischer Vater nicht Gavin Welby, sondern der 2013 verstorbene Anthony Montague Browne sei, von 1952 bis 1965 rechte Hand Churchills. Welby weiter: "Ich weiß, dass ich meine Identität in Jesus Christus finde und nicht in der Genetik." Welbys Mutter, Lady Williams of Elvel (86), sprach von einem "fast unglaublichen Schock". Allerdings erinnere sie sich, mit Browne geschlafen zu haben, "abgefüllt mit großen Mengen Alkohols auf beiden Seiten".
Respekt und Lob für transparenten Umgang
Der transparente und vorbehaltlose Umgang des Primas mit seiner unehelichen Herkunft stieß in Großbritannien auf Respekt und Lob von anderen Kirchenführern. In einem Kommentar des "Sunday Telegraph" heißt es, der Erzbischof von Canterbury erteile eine "Lektion in Demut". Der höchstrangige katholische Bischof der Insel, Kardinal Vincent Nichols von Westminister, twitterte: "Am meisten zählt unser Leben in Christus." Auch ein führender Rabbiner und der oberste koptische Bischof des Königreichs zollten dem Erzbischof Respekt.
Der "Telegraph" hatte Hinweise auf die uneheliche Herkunft Welbys recherchiert und sie mit dem Erzbischof diskutiert. Der entschied sich zu einem DNA-Test. Welby erklärte, seine Erfahrung sei typisch für viele Menschen: "Herauszufinden, dass der eigene Vater ein anderer ist als gedacht, ist nicht ungewöhnlich", vor allem in Familien mit Schwierigkeiten und Suchtproblemen. Welby verwies darauf, dass seine Eltern Alkoholiker gewesen seien und seine Kindheit deshalb "chaotisch". Zugleich betonte er, seine Mutter sei seit 1968 trocken.
Bischöflicher Quereinsteiger
Welby ist ein spannender Typ, ein bischöflicher Quereinsteiger. Der Jurist, Öl-Manager und Familienvater wurde erst 1993 zum Priester und 2011 zum Bischof geweiht. Bei der Wahl des neuen Primas ließ er 2012 alle Favoriten hinter sich. Der frühere Finanzexperte des Konzerns "Elf Aquitaine" steht für Realitätssinn, eine enorme Auffassungsgabe und Weltläufigkeit.
Seine Berufsausbildung ist makellos: Schulabschluss in Eton; Jura und Geschichte in Cambridge und Dublin; Managerposten in Paris und London, bei denen es etwa um die Finanzierung von Ölförderprojekten in Nigeria ging. Der Unfalltod seiner kleinen Tochter, einem von insgesamt sechs Kindern, brachte ihn Gott näher.
Radikale Umorientierung
1989 die radikale Umorientierung: Theologiestudium, Priester und von 2007 bis 2011 Dekan der Kathedrale von Liverpool. Dabei weist Welbys Karriere als Seelsorger auch Stationen in sozialen Brennpunkten auf. Dort schwärmt man von seinem gewinnenden Wesen, von Freundlichkeit und Überzeugungskraft.
Seine Manager-Karriere bedeutet keine ideologische Nähe zum Finanzsektor - im Gegenteil. Im Oberhaus sitzt Welby im Ausschuss für Bankenaufsicht. Einer Kappung von Banker-Boni erteilte er eine klare Absage: Solche Rasenmähermethoden wisse die Branche mit Sicherheit zu umgehen.
Stattdessen richtete er in seinem Londoner Amtssitz, dem Lambeth Palace, ein "Kloster" auf Zeit für angehende Banker ein. Die "quasi-monastische Gemeinschaft" soll angehenden Finanzmanagern Gelegenheit geben, Ethik und Philosophie zu studieren, zu beten und zu arbeiten. Ein Jahr gründlicher Reflexion über die eigene Person und Motivation sowie die theologische Lehre vom Menschen, verbunden mit sozialem Engagement und Dienst für Arme, soll dort das Leben prägen.
Anpackendes weltliches Denken schützt auch einen Primas nicht vor Zweifeln an Gott. Die äußerte Welby 2015 nach den Anschlägen von Paris - und begründete auch dies autobiografisch. Gerade in dieser Stadt hätten er und seine Ehefrau ihre glücklichste Zeit erlebt.