DOMRADIO.DE: Wie haben Sie von der Absicht erfahren, dass Ihnen die Päpstliche Universität Rio Grande do Sul in Porto Alegre in Brasilien die Ehrendoktorwürde verleihen will?
Pater Anselm Grün (Benediktiner und Buchautor): Professor Draiton Gonzaga de Souza, Professor für Philosophie und Psychologie an der Universität Porto Alegre, hat mir eine Mail geschrieben, dass die Universität beschlossen hat, mir die Ehrendoktorwürde zu geben. Letzte Woche war ich dann in Porto Alegre und habe diese Auszeichnung bekommen.
DOMRADIO.DE: Dort waren über 1.000 Gäste anwesend. Manche Besucher sollen über eine Stunde angestanden haben, um sich von Ihnen segnen zu lassen oder einfach mit Ihnen ins Gespräch zu kommen. Das habe Sie sehr bewegt, haben Sie danach erzählt. Passiert Ihnen das gar nicht so oft?
Grün: Natürlich kommen auch an so einem Tag Menschen, die "Wurzeln schlagen" wollen oder Bücher signieren lassen wollen. In Brasilien ist es üblich, dass jeder ein Foto mit mir machen will. Viele wollen auch gesegnet werden. Das erlebe ich in Deutschland nicht so oft.
DOMRADIO.DE: Der Rektor der Universität würdigte Ihre Bücher als "von der Kraft der inneren Reflexion und von der Suche nach dem tieferen Sinn des menschlichen Daseins zeugend" und sie würden außerdem "die Barrieren von Sprachen und Kulturen überwinden". Ist das auch der Antrieb, mit dem Sie Ihre Bücher schreiben?
Grün: Ja, ich freue mich einfach, dass meine Gedanken in Taiwan oder Brasilien gerne gelesen werden, dass es offensichtlich keinen Unterschied macht, welche Kultur da ist. Wenn ich von Mensch zu Mensch spreche, dann sind es oft die gleichen Gedanken.
Außerdem war die Befreiungstheologie sehr wichtig für Brasilien und auch sehr gut. Aber sie war sehr rational und hat wenig die Gefühle angesprochen. Und meine Bücher sprechen eben auch die Gefühle der Menschen an und ihre Sehnsüchte. Deswegen werden sie in Brasilien so gut gelesen. Die haben schon über 100 Bücher von mir übersetzt, mit einer Auflage von über einer Million.
DOMRADIO.DE: Es gibt aber auch Kritik, Ihre Bücher seien im Hinblick auf die kirchliche Lehre zu unscharf, hätten mitunter einen Hang zur Esoterik. Wie gehen Sie mit dieser Kritik um?
Grün: Ich schaue genau hin, wo sie berechtigt ist, wie zum Beispiel, dass ich unscharf bin. Ich habe in Rom Dogmatik promoviert, also weiß ich, was katholische Lehre ist. Manche Kritiker haben halt keine Ahnung von Theologie. Und manchmal höre ich auch, dass der Neid einfach da ist.
DOMRADIO.DE: Ist das eine Frage der Mentalität oder ist das auch so etwas wie der "Prophet im eigenen Land"?
Grün: Sicher beides, das ist die Mentalität. Die Brasilianer und Taiwaner sind einfach viel herzlicher und kommen immer, um einen zu umarmen. Selbstverständlich ist das in Deutschland weniger der Fall, aber auch in Deutschland bekomme ich durchaus viel Zuwendung, wenn ich Vorträge halte. Da bin auch dankbar.
DOMRADIO.DE: Wo sehen Sie bei der Befreiungstheologie Chancen, aber auch Risiken, wenn Sie das im Hinblick auf Ihre Bücher, auf Ihre Veröffentlichungen und sicherlich auch auf Ihre dogmatische Promotion hin versuchen einzuordnen?
Grün: Die Befreiungstheologie war für Brasilien ganz wichtig, weil sich die Kirche für die Menschen eingesetzt hat. Aber momentan ist sie nicht mehr so aktuell. Der brasilianische Präsident Lula da Silva ist mit vielen Befreiungstheologen befreundet. Da hat man viel von dem umgesetzt, was die Befreiungstheologen gefordert haben.
Zudem hat die Befreiungstheologie etwas die Gefühle vernachlässigt. Deswegen sind manche in die Pfingstkirchen abgewandert, weil diese emotionaler waren. Die Kunst bestand darin, beides zu verbinden, also das Emotionale und das Soziale.
DOMRADIO.DE: Sie vollenden im Januar Ihr 80. Lebensjahr. Was denken Sie, wie viele Bücher werden Sie noch schreiben?
Grün: Ich habe keine Pläne, welche Bücher ich schreiben werden. Da kommt immer so ein Impuls von außen, manchmal auch von innen. Ich habe da keine Pläne. Wenn ich Lust habe, dann schreibe ich.
Das Interview führte Jan Hendrik Stens.