Saul Friedländer mit erstem Ludwig-Landmann-Preis ausgezeichnet

Antisemitismus ist "Angriff auf uns alle"

Es ist eine Mahnung des Ex-Außenministers Joschka Fischer: "Nie wieder" dürfe man bedrohte jüdische Mitbürger in Deutschland allein lassen. Anlass war die Ehrung des Historikers und Schoah-Überlebenden Saul Friedländer.

Autor/in:
Norbert Demuth
Männer mit Kippa auf einer Bank / © Annik Susemihl (shutterstock)
Männer mit Kippa auf einer Bank / © Annik Susemihl ( shutterstock )

Der frühere Außenminister Joschka Fischer (Grüne) sieht eine Zunahme des Judenhasses in Deutschland und mahnt zur unbedingten Solidarität mit jüdischen Mitbürgern. Der wachsende Antisemitismus sei "nicht nur ein Angriff auf jüdische Menschen, ihre Gemeinden und Synagogen, sondern ein Angriff auf uns alle, auf die deutsche Demokratie und ihre Grundsätze", sagte Fischer am Sonntag in Frankfurt am Main. Fischer fügte hinzu: "Nie wieder dürfen wir unsere jüdischen Nachbarn und Mitbürger angesichts der zunehmenden antisemitischen Bedrohung allein lassen. Nie wieder!"

Fischer hielt die Laudatio auf den Historiker und Schoah-Überlebenden Saul Friedländer (88), der mit dem erstmals verliehenen "Ludwig-Landmann-Preis für Mut und Haltung" ausgezeichnet wurde. Friedländer wurde für sein Lebenswerk geehrt.

Der Ex-Außenminister sagte, Saul Friedländer sei "einer der weltweit bedeutendsten Historiker jenes mir bis heute unfassbaren, monströsen Menschheitsverbrechens - des industriell ins Werk gesetzten Völkermords am europäischen Judentum durch Deutsche". Der mit 10.000 Euro dotierte Preis wurde von der Gesellschaft der Freunde und Förderer des Jüdischen Museums Frankfurt verliehen.

"Antisemitismus in Deutschland wiegt angesichts unserer historischen Verantwortung für das Menschheitsverbrechen der Schoah schwerer als anderswo", fuhr Fischer fort. Die deutsche Demokratie habe sich nach dem Krieg verpflichtet, Antisemitismus mit allen rechtsstaatlichen Mitteln und "niemals ermüdender Härte" zu bekämpfen. "Wer daran rüttelt, wird unserer Demokratie, wird Deutschland schwersten Schaden zufügen. Und das darf nicht sein", betonte der Ex-Außenminister.

Saul Friedländer

Friedländer wurde 1932 als Sohn einer jüdischen Familie in Prag geboren. Infolge der deutschen Besetzung emigrierte die Familie nach Frankreich. Während er als Kind im Versteck überlebte, wurden seine Eltern verhaftet und in Auschwitz ermordet. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wanderte Friedländer nach Israel aus. Er lehrte in Jerusalem, Tel Aviv und Los Angeles und wurde für sein Werk unter anderem mit dem Pulitzer-Preis sowie dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet.

Die Preisverleihung fand im Schauspielhaus Frankfurt statt. Friedländer war zwar nicht im Saal anwesend, wurde aber von seinem US-Wohnort in Los Angeles zugeschaltet. Seine Tochter, die Pianistin Michal Friedländer, nahm an seiner Stelle in Frankfurt den Preis entgegen. Friedländer sagte in einem eingespielten Interview mit ZDF-Chefredakteur Peter Frey: "Ich bin keine sehr mutige Person, aber ich fühle mich sehr geehrt."

Viel beachtete Rede zum Holocaust-Gedenktag

Friedländer hatte 2019 eine viel beachtete Rede zum Holocaust-Gedenktag im Bundestag gehalten und dabei Deutschland als "Bollwerk gegen den Fremdenhass" bezeichnet. Nun sagte er: "Deutschland ist noch immer ein Bollwerk, mehr als andere westliche Nationen, aber es ändert sich überall und man sieht - unerwartet für mich - ein Hochkommen von Antisemitismus sowohl in Deutschland als auch in Amerika, dem großen Bollwerk der Demokratie".

Man müsse einerseits aufklären, aber sich andererseits auch abgrenzen. "Und Abgrenzung ist nicht genug: Man muss sich auch verteidigen", sagte Friedländer und fügte hinzu: "Demokratie muss auch verteidigt und nicht nur erklärt sein." Der Historiker mahnte, die Erinnerungskultur an den Holocaust zu bewahren. Wenn eine stärker von rechten Kräften dominierte politische Lage in Deutschland komme, werde die einst starke Erinnerungskultur, die den Holocaust als Schande einstufe, "weg sein".

Namensgeber des Preises

Der Namensgeber des Preises, Ludwig Landmann (1868-1945), war von 1924 bis 1933 Oberbürgermeister von Frankfurt am Main. Aufgrund seiner jüdischen Herkunft wurde Landmann 1933 seines Amtes enthoben, seiner Pension beraubt und in die Flucht getrieben. Er starb 1945 verarmt im niederländischen Exil.

Der amtierende Frankfurter Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) sagte bei der Preisverleihung, die Stadt habe am Freitag ihren Magistrats-Sitzungssaal im Römer umbenannt: "Er heißt seit 48 Stunden 'Ludwig-Landmann-Saal'."


Saul Friedländer / © Kay Nietfeld (dpa)
Saul Friedländer / © Kay Nietfeld ( dpa )
Quelle:
KNA