Nach der Tora dürfen Juden in der Zeit keine Nahrung mit Getreide besitzen, das gegärt hat. Hussein Dschabar genießt sichtbar das Interesse an seiner Person. Fotos an der Wand hinter dem großen, kräftigen Mann im dunklen Anzug zeigen ihn mit ehemaligen und dem aktuellen Ministerpräsidenten Israels: Izchak Rabin, Ehud Olmert, Benjamin Netanjahu. Der 53-jährige Araber übernimmt jedes Jahr eine wichtige Aufgabe für den Staat: Er kauft Israel für die Zeit des jüdischen Pessach-Festes alles gesäuerte Brot ab, aber auch Kuchen, Kekse, Nudeln oder Bier - im Dienst der Religion.
Hüter der Lebensmittel
Denn in dieser Zeit ist der Verzehr und der Besitz des sogenannten Chamez verboten. Der Handel - zwischen Dschabar und Israel - wird am 29. März rechtlich bindend geschlossen und nach zehn Tagen durch einen Trick wieder rückgängig gemacht. Die Ware wechselt zwar vertraglich den Besitzer, bleibt aber an ihrem Ort. Dschabar macht mit den Lebensmitteln nichts, wie er sagt. Er hütet sie lediglich wie einen Schatz.
"Wenn ich ihnen helfen kann, warum nicht", sagt Dschabar, der aus dem Dorf Abu Gosch nahe Jerusalem stammt. "Ich werde ein Millionär für zehn Tage sein." Der gläubige Muslim lacht. Schließlich geht es hier um die riesigen Vorräte etwa der Armee, der Krankenhäuser und der Schulen.
Mit dem jüdischen Pessach-Fest feiern die Juden weltweit den Auszug der Israeliten aus der Sklaverei in Ägypten. Während der Pessach-Woche verbietet die Tora Nahrungsmittel, die Getreide enthält, das gegärt hat. Auch der Besitz des sogenannten Chamez ist nicht erlaubt.
Israel verkauft deswegen stets seine verbotenen Nahrungsmittel. In den meisten Supermärkten werden Regale mit den entsprechenden Waren zugehängt. Privathaushalte können aber frei entscheiden, was sie machen.
Übergabe-Zeremonie
Dschabar sitzt in seinem Büro in einem Hotel in Jerusalem und erzählt, wie er jedes Jahr umgerechnet rund 4.700 Euro an das Oberrabbinat zahlt, die höchste jüdische Instanz im Staat. Beide Parteien unterschreiben einen Vertrag. Dieses Jahr findet die Zeremonie mit Finanzminister Mosche Kachlon und den beiden Oberrabbinern am 29. März statt.
Das Geld ist eine Anzahlung für Ware im Wert von zuletzt schätzungsweise mehr als 200 Millionen Euro, wie Dschabar sagt. Dafür erhält er eine Liste mit allen entsprechenden Nahrungsmitteln.
Dschabar bekommt auch die notwendigen Schlüssel. Allerdings betont er, dass er die Nahrungsmittel lediglich kontrolliert. "Wenn die Zeitungen schreiben, dass der Staat mir die Sachen verkauft hat, bekomme ich Anrufe von Leuten, die dieses oder jenes kaufen wollen." Den jährlichen Handel mit dem Staat übernahm er vor rund 20 Jahren, weil er einen der Oberrabbiner kannte, der ihn schlicht darum bat.
Rabbi Jeffrey Woolf von der Bar-Ilan-Universität verweist darauf, dass der Verkauf zwar hohen symbolischen Wert hat. "Aber es ist wirklich so, dass nach jüdischem und Zivilrecht der Nicht-Jude das Chamez besitzt."
Rechtliches Schlupfloch
Bis zum Mittelalter hätten die Juden ihr Chamez schlicht aufgebraucht, weggegeben oder weggeschmissen. Doch im späten Mittelalter seien die Juden in die Bierproduktion eingestiegen. Sie besaßen plötzlich Pubs - und konnten ihre Chamez-Vorräte nicht mehr einfach wegwerfen. "Unter diesen Umständen entwickelten die Rabbiner in Ost-Europa und in Zentraleuropa die Idee, das Chamez zu verkaufen", sagt Woolf. "Wir reden über ein rechtliches Schlupfloch." Der Nicht-Jude kauft das Chamez und verkauft es am Ende wieder zurück.
Der Staat, aber auch Fabriken, Restaurants und Hotels erteilen dem Oberrabbinat in Israel das Recht, in ihrem Namen ihre Chamez-Vorräte an Dschabar zu verkaufen. "Er bekommt zehn Tage Zeit, um den Kauf abzuschließen", erklärt Rabbi Elieser Simcha Weiss vom Oberrabbinat den vorher vereinbarten Ablauf. "Wenn er den Rest des Geldes nicht bis zum Ende von Pessach bezahlt, wird das Geschäft hinfällig." Dschabar erhält seine Anzahlung zurück - und die Nahrungsmittel gehören wieder den ursprünglichen Besitzern, wie dem Staat.
Dschabar sagt, dass seine arabischen Nachbarn kein Problem mit seinem Dienst am Staat Israel haben. "Wenn wir miteinander leben können, dann sollten wir das auch tun", lautet seine friedliche Devise.