DOMRADIO.DE: Damit Ökumene in unseren Gemeinden vor Ort praktisch lebbar ist, gibt es die sogenannte Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen, kurz ACK. Das ist das größte Netzwerk christlicher Kirchen in Deutschland. 1972 ist die ACK in Nordrhein Westfalen an den Start gegangen. Wie hat sich die ökumenische Zusammenarbeit aus Ihrer Sicht in diesen 50 Jahren bis heute entwickelt?
Annette Muhr-Nelson (Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen (ACK) in NRW): Ökumene ist viel selbstverständlicher geworden. Das kann man, glaube ich, so sagen. Überall im Lande, auch in Nordrhein-Westfalen. Darüber freuen wir uns sehr. Anfang der 70er Jahre, als sich die ACK gegründet hat, war gerade das Zweite Vatikanische Konzil vorüber. Das hat eine Öffnung der katholischen Kirche für die Ökumene gebracht.
Eine Zusammenarbeit der Freikirchen, der evangelischen Kirchen und auch der einen oder anderen orthodoxen Kirche gab es vorher schon, auch der altkatholischen Kirche. Aber es sind ja auch im Laufe der 50 Jahre andere Kirchen dazugekommen durch Zuwanderung - viele unterschiedliche orthodoxe Kirchen zum Beispiel. Es ist einfach total spannend, das auch mitzuerleben, wie unsere Gesellschaft sich verändert und wie sich dadurch auch Kirche verändert.
DOMRADIO.DE: Was speziell die katholische Zusammenarbeit betrifft, ist NRW in den gesamtdeutschen Arbeitsgruppen ja Vorreiter gewesen. Inwiefern denn?
Muhr-Nelson: 1972, bei der Gründung in Dortmund, haben alle fünf katholischen Bistümer Nordrhein-Westfalens mit dazugehört. Und sie sind erst 1974, zwei Jahre später, in die Bundes-ACK, also in die Deutschland AG, eingetreten. Das war eine Entwicklung, die überall zeitgleich stattgefunden hat, es war aber eben in Dortmund der erste Beitritt katholischer Bistümer. Darauf sind wir ein klein bisschen stolz.
DOMRADIO.DE: Wie sieht die Arbeit bei Ihnen aus? Welche Projekte gibt es, die vielleicht besonders gut gelungen sind, wenn Sie mal zurückschauen.
Muhr-Nelson: In Köln gibt es zum Beispiel das Kölner Ökumene-Kreuz. Das gibt es schon seit mehreren Jahrzehnten und es wird immer regelmäßig zu ökumenischen Open-Air-Gottesdiensten, zum Beispiel am Baptisterium, in der Prozession vorangetragen. Das ist, glaube ich, ein bekanntes Symbol in Köln. In Münster gibt es an Pfingstmontag auf dem Domplatz - also auch Open Air - immer einen großen ökumenischen Gottesdienst. Das hat auch eine lange Tradition. In Herford beteiligen sich alle christlichen Kirchen an einer Gebetsnacht während der Passionszeit. Dann ist die Kirche wirklich 24 Stunden offen. Es wird durchgängig gebetet, es werden Lieder gesungen, Menschen werden eingeladen zur stillen Einkehr in der Passionszeit, um über das Leiden Jesu und über das Leiden in der Welt nachzudenken und ein Zeichen zu setzen. So haben diese lokalen ACKs spezielle Besonderheiten entwickelt.
Wir als ACK NRW sind so ein bisschen der Dachverband. Wir bündeln das. Wir bringen die lokalen ACKs, von denen ich gerade erzählt habe, miteinander in Kontakt, so dass sie sich von ihren guten Projekten berichten können. Und wir führen dann zweimal im Jahr Studientagungen durch, wo wir auch theoretisch-theologisch die Themen, die dran sind, erörtern. Zum Beispiel Themen wie interreligiöser Dialog, Flüchtlinge oder Europa, der Ökumenische Rat der Kirchen, der Pilgerweg der Gerechtigkeit und des Friedens.
DOMRADIO.DE: Welche aktuellen Herausforderungen sehen Sie beim Thema Ökumene?
Muhr-Nelson: Um ganz ehrlich zu sein, muss man sagen: Wir sind in den 50 Jahren miteinander alt geworden. Es gibt ein paar junge Leute, die sich beteiligen. Aber es ist bestimmt eine Herausforderung für den neuen Vorstand, auch noch mal zu gucken: Wie kriegen wir Studierende, wie kriegen wir junge Leute, die interessiert sind an diesen Fragen, stärker mit in unsere Strukturen? Und wir stellen uns auch kritisch die Frage: Wie lange braucht es noch eine solche Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen? Ist die Zusammenarbeit der Kirchen nicht schon so selbstverständlich geworden, dass dieses offizielle Gremium irgendwann seinen Dienst getan hat? Das wäre ja auch ganz positiv. Das wird, glaube ich, in den nächsten 20 Jahren eine spannende Frage sein.
Das Interview führte Michelle Olion.