Arbeitsmigration aus Albanien und Kosovo bleibt ein Problem

"Die gut Ausgebildeten verlassen das Land"

Albanien und Kosovo haben große Probleme mit der Arbeitsmigration. Gut ausgebildete junge Menschen verlassen oft schnell die beiden Länder. Clemens Sarholz hat mit Renovabis die Balkan-Staaten bereist und sich selbst ein Bild gemacht.

Autor/in:
Clemens Sarholz
Berufsbildungszentrum in Albanien / © Beate Laurenti (KNA)
Berufsbildungszentrum in Albanien / © Beate Laurenti ( KNA )

DOMRADIO.DE: Es gab jüngst einen gemeinsamen Besuch mit dem Osteuropa-Hilfswerk Renovabis im Kosovo und in Albanien. Was ist da am meisten in Erinnerung geblieben?

Clemens Sarholz (DR)
Clemens Sarholz / ( DR )

Clemens Sarholz (Volontär): Auf jeden Fall bleibt mir die Gastfreundschaft der Menschen, sowohl in Albanien als auch im Kosovo in Erinnerung. Diejenigen, mit denen wir gesprochen haben, waren sehr froh darüber, dass wir uns für deren Geschichten interessiert haben.

Bemerkenswert fand ich außerdem die Art und Weise, wie die Menschen in Albanien auf Fragen reagiert haben. Häufig war es so, dass sie keine direkte Antwort auf die Fragen gegeben haben, sondern ihre Haltung in ihrer Antwort nur zu erahnen war.

Eine Frau habe ich beispielsweise gefragt, wie sie in Albanien auf den Synodalen Weg in Deutschland, den Reformprozess der katholischen Kirche, blicken. Speziell ging es um die Frage nach dem Diakonat für die Frau und was sie davon hält. "Wir wissen doch, dass die Kirche immer nur auf der Arbeit der Frauen bestehen konnte", lautete da ihre Antwort.

Es war immer eine gewisse Schleierhaftigkeit in den Antworten. Unsere Reisebegleitung hat mir dann erklärt, dass das noch ein Überbleibsel aus der Zeit des Kommunismus sei. Aus der Zeit, in der es keine Meinungsfreiheit gab und man seine Meinung nicht bedingungslos äußern durfte. Das fand ich sehr spannend.

Und mir bleibt natürlich auch die große Perspektivlosigkeit der Menschen, die dort leben, im Gedächtnis.

DOMRADIO.DE: Wie äußert die sich?

Sarholz: Die jungen und vor allem die gut ausgebildeten Menschen wollen das Land verlassen. Das ist mir in Albanien noch stärker aufgefallen als im Kosovo. Die Korruption in den Ländern ist eklatant. Wenn man was erreichen möchte, muss man Kontakte haben. Man kann sich in der Schule gute Noten kaufen, man muss sich Gesundheitsversorgung kaufen.

Es herrscht eine hohe Arbeitslosigkeit, obwohl viele Unternehmen und Branchen händeringend Arbeitskräfte suchen. Die Alten haben Angst davor, ins Krankenhaus zu müssen, weil sie sich die Behandlung nicht unbedingt leisten können.

Im Kosovo gibt es keine gesetzliche Krankenversicherung und wer in die Rentenkasse einzahlt, bekommt nur das, was er eingezahlt hat. Wer dann länger lebt hat Pech.

Wir haben viele solcher Geschichten gehört. Das ist natürlich ein großes Problem.

Ein Metallbauer arbeitet an der Werkbank in seiner Werkstatt in Shkodra (Albanien) / © Beate Laurenti (KNA)
Ein Metallbauer arbeitet an der Werkbank in seiner Werkstatt in Shkodra (Albanien) / © Beate Laurenti ( KNA )

DOMRADIO.DE: Es sind zwei Länder, die mitten in Europa liegen. Hat man sich die Verhältnisse vor der Reise so vorgestellt?

Sarholz: Es hat mich, um ehrlich zu sein, nicht besonders gewundert. Wer sich mit der jüngeren Geschichte der Länder auseinandergesetzt hat, weiß, was dort passiert ist.

In Albanien hat der isolierteste Kommunismus geherrscht, den man sich vorstellen kann. Das Land war total von der Außenwelt abgeschnitten. Sogar zur damaligen Sowjetunion und nach China gab es irgendwann keine diplomatischen Beziehungen. Man kann das vielleicht ein bisschen mit dem heutigen Nordkorea vergleichen.

Und der Kosovo hat bis heute Probleme mit Serbien und mit den Nachwehen des Krieges von 1998 bis 1999.

DOMRADIO.DE: Die Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit ist dort mit Ausbildungsprogrammen aktiv. Und auch Renovabis setzt sich dort für die Menschen ein. Was tut sich dort?

Sarholz: Es gibt einige Ausbildungsprogramme. Junge Leute werden zu Friseuren, Klempnern, Schweißern, Elektrikern oder im Umgang mit Solaranlagen ausgebildet. Wenn die Kurse dann zu Ende sind, stehen die Unternehmen bei denen Schlange, weil die Fachkräfte brauchen. So wurde es uns von den Menschen erzählt.

Aber die jungen Leute mit Ausbildung wollen dann sofort ins Ausland, häufig nach Deutschland. Die gehen gar nicht erst zu den Unternehmen, um sich das anzuschauen. Die wandern alle ab. Das ist ein großes Problem.

Im Kosovo beispielsweise liegt die Geburtenrate bei 2,1 Kindern pro Frau. Das reicht gerade mal so, um die Bevölkerung auf einem gleichbleibenden Level zu halten. Wenn die jungen Menschen dann gehen, bleiben nur noch die Alten im Land. Aber die können ein Land mit den großen Schwierigkeiten nicht mit aufbauen.

DOMRADIO.DE: Der bayerische Ministerpräsident Markus Söder war vor kurzem in Albanien, um dafür zu werben, dass die Menschen nach Deutschland kommen. Damit will er bei uns den Fachkräftemangel bekämpfen, zum Beispiel in der Pflege. Ist das für das Land eine große Katastrophe, wenn wir sagen: Wir heißen euch alle willkommen?

Sarholz: Das ist das zweischneidige Schwert der Freizügigkeit. Man kann natürlich die jungen Leute verstehen, die diese Angebote hervorragend finden. Ein Kellnerin verdient im Kosovo 400 Euro. Lehrer verdienen 450 bis 600 Euro. Der Premierminister vom Kosovo, Albin Kurti, verdient nicht einmal 1.500 Euro. Das sind Verhältnisse, die wir uns so nicht vorstellen können. Die Lebenshaltungskosten sind nicht gering.

Für Deutschland ist es natürlich gut, wenn Fachkräfte zu uns kommen und bei uns beispielsweise in der Pflege arbeiten. Aber ich glaube nicht, dass diesen Ländern im Balkan damit geholfen ist, wenn wir deren Fachkräfte zu uns zu ziehen. Ich glaube, wenn man den wirklich helfen möchte, müsste man dort Arbeitsstellen schaffen. Damit die Leute einen Anreiz haben, um im Land zu beiben.

Ein Mann geht zur Kirche Sankt Antonius am Kap Rodon nahe Buze (Albanien) / © Alessio Mamo (KNA)
Ein Mann geht zur Kirche Sankt Antonius am Kap Rodon nahe Buze (Albanien) / © Alessio Mamo ( KNA )

DOMRADIO.DE: Welche Rolle spielen die Kirchen in Albanien und im Kosovo?

Sarholz: Die Rolle der Religion ist in der Ta sehr spannend. Im 14. Jahrhundert haben sich die Osmanen in der Region breit gemacht. Weil die Machthaber Muslime waren, sind viele Bewohner des Balkans in den folgenden Jahren und Jahrzehnten konvertiert. Zum großen Teil aus opportunistischen Gründen, um Steuern zu sparen und um soziale Aufstiegsmöglichkeiten zu haben.

Religiöse Spannungen haben wir eigentlich nicht erlebt. Die serbisch-orthodoxe Kirche hat natürlich ihre Probleme mit dem Kosovo, aber da liegen die Ursachen vor allem in dem nationalen Konflikt der Serben und Kosovaren.

Vor allem die katholische Kirche scheint hier einen sehr guten Ruf zu haben, weil sie nicht korrupt zu sein scheint. Sie unterstützt die Armen mit Suppenküchen, die wir uns auch angesehen haben. Sie baut Schulen, die wir besucht haben.

Ein Platz in diesen Schulen ist sehr begehrt. Es gibt Wartelisten. Der Besuch einer solchen Schule kostet zwar Geld, aber man wird dort nicht schon in jungen Jahren in dieses System der Korruption hineingepresst.

In Albanien haben uns die Leute erzählt, dass die Kirche auch in der Zeit des Kommunismus ihre Glaubwürdigkeit bewahrt hat.

DOMRADIO.DE: Gibt es auch positive Entwicklungen?

Sarholz: Es ist, um ehrlich zu sein, nicht so berauschend. Aber der Kosovo scheint mit Albin Kurti einen Hoffnungsträger als Ministerpräsident zu haben. Der steht im Ruf, gegen die Korruption im Land anzukämpfen und dabei selber nicht korrupt zu sein.

Wir haben von den Leuten gehört, das sei die einzige nicht korrupte Regierung im Westbalkan. Laut internationalen Berichten von "Corruption Transparency", dem International Korruptionsindex ist der Kosovo jetzt um zwei Plätze gestiegen. Von Platz 86 auf 84, und Albanien von Platz 102 auf 101. Das ist nur eine sehr geringe Tendenz. Aber vielleicht liegt dort ein kleines bisschen Hoffnung.

Das Interview führte Bernd Hamer.

Renovabis

Renovabis ist das jüngste der sechs katholischen weltkirchlichen Hilfswerke in Deutschland. Es wurde im März 1993 auf Anregung des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK) von den deutschen Bischöfen gegründet. Seither gibt es jedes Jahr eine mehrwöchige bundesweite Aktion. Sie endet jeweils am Pfingstsonntag mit einer Kollekte in den katholischen Gottesdiensten in Deutschland.

Der lateinische Name des Hilfswerks geht auf einen Bibelpsalm zurück und bedeutet "Du wirst erneuern".

 © Renovabis
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Quelle:
DR