Zunächst geht es auf schmalen Pfaden durch den dichten Dschungel - dann, plötzlich, wird der Blick frei auf kolossale Tempel, Mauern, Pyramiden und Paläste. Wer heute als Tourist Ruinenstädte wie Palenque im Süden Mexikos oder Tikal im Norden Guatemalas besucht, darf sich immer noch ein wenig fühlen wie jene Abenteurer, die ab der Wende zum 19. Jahrhundert die Überreste der Maya-Kultur entdeckten.
Das alles aber kann vom Ausmaß her wohl nur eine grobe Ahnung dessen vermitteln, was Archäologen nun im Regenwald Guatemalas entdeckten. Wie die BBC am Wochenende berichtete, stießen die Forscher auf rund 60.000 Ruinen, die sich auf einem mehr als 2.000 Quadratkilometer großen Areal im Norden des Landes verteilen.
Riesige Funde der Maya-Kultur
Steinerne Fundamente von einfachen Wohnhäusern gehören ebenso dazu wie Verteidigungswälle, Gräben, Festungen und landwirtschaftlich genutzte Flächen. Er habe Tränen in den Augen gehabt, bekannte einer der Wissenschaftler, Stephen Houston von der Brown University im US-Bundesstaat Rode Island, gegenüber dem britischen Sender. Die Funde legen nahe, dass zu Zeiten der Maya bis zu vier mal mehr Menschen als bisher angenommen in der Region siedelten. Die Infrastruktur nötigt den Experten größten Respekt ab. Offenbar seien die Maya, die ihre Blütezeit in Mittelamerika vor rund 1.500 Jahren erlebten, ähnlich innovativ gewesen wie beispielsweise die Hochkulturen im alten Griechenland oder China.
Anders als das zu Teilen freigelegte Palenque und Tikal liegen die jetzt entdeckten Ruinen versteckt unter dem dichten Dach des Regenwalds. Selbst eine siebenstöckige Pyramie liege für das bloße Auge verborgen unter der üppigen Vegetation, heißt es in dem Bericht der BBC. Dass sich Wissenschaftler trotzdem ein Bild von alledem machen könne, liegt an einer neuen Technologie namens Lidar. Dahinter steckt eine Lasertechnik, die von einem Hubschrauber aus den Erdboden mit enormer Präzision abtasten kann. Aus Abermillionen Laserimpulsen lässt sich im Anschluss eine dreidimensionale Ansicht der untersuchten Fläche erstellen.
Dank sei der modernen Technik
Die Bedeutung der Technik für die Archäologie vergleichen Fachleute wie Francisco Estrada-Belli von der Tulane University in New Orleans mit jener des Weltraumteleskops Hubble für die Erforschung des Orbits. Auch Stephen Houston spricht von einem Quantensprung in der rund 150-jährigen Geschichte der modernen Maya-Forschung. Lidar kam unter anderem bereits bei Untersuchungen in der Nähe der weltberühmten Tempelanlage von Angkor Wat im südostasiatischen Kambodscha zum Einsatz.
Spektakulär verlief auch eine Expedition in der entlegenen Region La Mosquitia in Honduras. In diesem Fall lieferte Lidar Hinweise auf eine bislang unbekannte Zivilisation, die mutmaßlich Kontakte zu den Maya unterhielt. Die Funde lassen auf einen Zeitraum der Besiedelung zwischen 1000 und 1520 schließen - einer Phase, in der der Stern der Maya in anderen Teilen Mittelamerikas allerdings schon wieder gesunken war. "Die Stadt des Affengottes" in Honduras und ihr sagenhafter Reichtum überdauerten dagegen gerüchteweise die Jahrhunderte.
Dem Rätsel der Maya näher kommen
In seinem im vergangenen Jahr erschienenen gleichnamigen Bestseller schildert US-Publizist Douglas Preston die Herausforderungen, vor denen die Expeditionsteilnehmer in Honduras standen. "Es war in vielerlei Hinsicht eines der beeindruckendsten Erlebnisse meines Lebens", so Preston in einem Interview. "Tief in der Mosquitia gibt es immer noch große, abgeschiedene Täler, die völlig unerforscht sind."
Den Archäologen in Guatemala ergeht es ähnlich. Die jüngsten Entdeckungen könnten erst der Anfang sein. Per Lidar will eine Kulturerbe-Organisation innerhalb von drei Jahren 14.000 Quadratkilometer des guatemaltekischen Tieflands vermessen. Stoff genug für Forschung über Jahrzehnte. Immer noch werfen die Maya zahlreiche Rätsel auf. Auch, warum die Hochkultur ab dem 9. Jahrhundert unterging, ist nicht eindeutig geklärt. Bei der "Stadt des Affengottes" könnten Seuchen eine Rolle gespielt haben. Eingeschleppt durch Kolumbus und die spanischen Konquistadoren.
Joachim Heinz