Argentinien stoppt die Weizenexporte und wird dafür heftig kritisiert

Kornkammer am Pranger

Der UN-Experte wählte deutliche Worte: Wer den Export von Reis oder Weizen verbiete, trage zur Panik und zur Spekulation auf den Lebensmittelmärkten bei, sagte José Graziano da Silva, der Repräsentant der UN-Organisation für Ernährung und Landwirtschaft (FAO) in Lateinamerika. Der Brasilianer stellte unter anderem die Kornkammer Argentinien an den Pranger. Denn das südamerikanische Land hat seine Weizenexporte ausgesetzt.

Autor/in:
Jürgen Vogt
 (DR)

Mit seinen knapp 40 Millionen Einwohnern produziert Argentinien Nahrungsmittel für 300 Millionen Menschen. Dass in Buenos Aires vorerst keine Exportgenehmigungen für Weizen erteilt werden, ist Teil des seit Wochen anhaltenden Konflikts zwischen Farmern und Präsidentin Cristina Kirchner. Schon 2006 hatte die Vorgängerregierung ihres Ehemanns Néstor Kirchner mit einem Exportstopp für Weizen gedroht.

Die Regierung will sicherstellen, dass in Argentinien selbst genug Weizen zu einem günstigen Preis angeboten wird. Und sie will einen Teil der wachsenden Exporterlöse abschöpfen und umverteilen. Doch die Ankündigung, die Exportabgaben zu erhöhen, trieb die Farmer auf die Barrikaden. Die Regierung verlangt zudem eine freiwillige Selbstbeschränkung beim Export auf maximal sieben Millionen Tonnen.

Denn Argentiniens Weizenproduktion war von 16 Millionen Tonnen im Jahr 2005 auf 12,5 Millionen 2006 gesunken. "Es muss jedem klar sein, dass der heimische Markt oberste Priorität hat," so die damalige Wirtschaftsministerin Felisa Miceli.

Argentiniens Agrarindustrie - und mit ihr der Staat - profitieren seit einigen Jahren von den fetten Exporterlösen bei Weizen, Mais und Soja. Lag der Weltmarktpreis im September 2006 bei Weizen noch bei knapp 200 US-Dollar je Tonne und rund 120 Dollar bei Mais, so kletterte er bis Jahresbeginn 2008 bei Weizen auf 425 und auf 220 Dollar bei Mais. Entsprechend stiegen die Einnahmen der Produzenten und des Staatshaushalts.

Den wahren Boom erlebte das Land jedoch mit der Sojabohne. 95 Prozent der Ernte werden exportiert, in erster Linie nach China, Indien oder Europa. Als Néstor Kirchner im Mai 2003 nach der argentinischen Finanzkrise an die Regierung kam, lag der Weltmarktpreis für die Tonne bei 225 Dollar. Ein Jahr später betrug er rund 360 Dollar, und Anfang dieses Jahres hätte sich seine Ehefrau Cristina Kirchner eigentlich über einen Preis von über 500 Dollar freuen können.

"Die hohe Rendite bei Soja ist heute ein Problem, sie verdrängt die anderen Produkte", sagt jedoch die Präsidentin und verlangte, dass die Landwirte statt Soja mehr Mais und Weizen anbauen, mehr Fleisch und Milch produzieren sollten. Der Boom der Bohnen ist ein Grund, warum die Regierung die Exportsteuer gerade bei Soja kräftig anheben will. Die Anbaufläche für Soja stieg von 6,7 Millionen im Jahr 1996 auf den neuen Rekord von 16,9 Millionen Hektar, knapp die Hälfte der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche.

Mit der Exportsteuer versucht die Regierung, Preise und Produktion zu lenken. Wer ohnehin bis zu 40 Prozent seiner Ausfuhrerlöse an den Fiskus abführen muss, kann vielleicht mehr verdienen, wenn er sein Getreide zu einem niedrigeren Preis auf dem heimischen Markt anbietet, so die Logik. Mit den Steuereinnahmen und einem komplexen System aus Vereinbarungen und Subventionen mit Handelsketten und Industrie hält die Regierung die Preise für die wichtigsten Grundnahrungsmittel niedrig.

Ohne dieses System läge der Brotpreis um 25 Prozent höher, rechnete Wirtschaftsminister Martín Lousteau Ende März vor. Milch wäre gar 60 Prozent teurer, Fleisch und Geflügel bis zu 50 Prozent. Jeder Preisanstieg um ein Prozent bei den Grundnahrungsmitteln würde 150.000 Menschen mehr in die Armut treiben, warnte er. Noch immer lebt nach offiziellen Angaben ein Fünftel der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze.

Argentiniens oberste Verbraucherschützerin ist jedoch skeptisch.
"Dieses System aus Vereinbarungen und Subventionen für die großen Firmen funktioniert nicht", sagt Susana Andrada. "Es verursacht große Staatausgaben, doch die Konsumenten merken nichts davon." Davon zeugten die steigenden Preise für Nahrungsmittel auch in den argentinischen Supermärkten.