domradio.de: Der Papst feiert eine Messe im armenischen Ritus und erinnert an den Völkermord. Wie haben Sie das empfunden?
Ilias Uyar (Diözesanbeiratsvorsitzender der armenischen Kirche): Ich habe die Papstmesse direkt am Computer über den Livestream mitverfolgt und war sehr sehr berührt davon.
domradio.de: Fühlt man Genugtuung, wenn der Papst nochmal deutlich von Völkermord spricht?
Uyar: Ich war ihm sehr dankbar, dass er wahrhaftig die Tatsachen beim Namen genannt hat. Die Päpste zuvor haben das auch getan. Zwölf Tage vor dem Gedenktag am 24. April ist das noch einmal ein wichtiges und richtiges Zeichen des Papstes gewesen, dass er hier vom Völkermord an den Armeniern gesprochen hat.
domradio.de: Welche Reaktionen haben Sie aus der armenischen Kirche hier in Deutschland bekommen?
Uyar: Ich habe schon mit vielen Leuten telefoniert, die auch die Papstmesse verfolgt haben und sie sind sehr froh darüber. Das ist ein eindrucksvolles Bekenntnis der Solidarität und der Barmherzigkeit mit der armenischen Kirche, mit dem armenischen Volk, aber auch mit den Opfern des Völkermords an den Armeniern.
domradio.de: Der Papst hat auch einen Blick in die Zukunft gewagt, dazu aufgerufen nicht nur auf das Leiden vor 100 Jahren zu schauen, sondern auch neuen Mut zu fassen. Was nehmen Sie davon mit?
Uyar: Der Papst hat das ganz gut beschrieben. Wir Armenier gucken nicht nur in die Vergangenheit, sondern unser Blick ist eigentlich in die Zukunft gerichtet. Jedoch müssen wir auch klar erkennen, dass die offene Wunde des Völkermordes von 1915 noch klaffend blutet und das natürlich immer bei uns im Gedächtnis eingebrannt sein wird, aber das hindert uns nicht daran, in die Zukunft zu gucken und unsere Zukunft zu gestalten.
domradio.de: Das heißt der Stachel sitzt noch sehr tief in allen Armeniern, die hier in Deutschland leben?
Uyar: Ja, selbstverständlich. Wir sind ja eine Diasporagemeinde und die meisten Armenier, die in Deutschland leben, haben unmittelbar in ihrer eigenen Familiengeschichte Opfer des Völkermordes zu beklagen. Sie sind also die direkten Nachfahren der Überlebenden des Völkermordes und das ist in dem armenischen Bewusstsein noch absolut aktuell.
domradio.de: Historiker und Völkerrechtler sind sich einig in der Bewertung der Vorfälle vor 100 Jahren als Genozid, als Völkermord. So hat es der Papst dann auch gesagt im Petersdom. Die Türkei ist nicht bereit das anzuerkennen und geht auch wieder diplomatische Schritte. Warum ist das Ihrer Meinung nach so?
Uyar: Die Türkei möchte sich nicht mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen. Die Nabelschnur zwischen dem osmanischen Reich und der modernen Türkei, zwischen den Menschen, die den Völkermord verübt haben und der heutigen Türkei ist noch immer nicht durchtrennt. Diejenigen, die seinerzeit verantwortlich waren, dass 1,5 Millionen Armenier, Assyrer, Aramäer, Pontosgriechen systematisch umgebracht worden sind, werden heute noch in der Türkei als Nationalhelden gefeiert. Nach diesen Menschen sind Straßen, Plätze und Schulen benannt. Das macht natürlich die Aufarbeitung für die heutige Türkei noch ein wenig schwieriger, weil sie sich mit diesem Gründungsmythos noch nie auseinandergesetzt und das immer als Tabu belegt hat.
domradio.de: Was haben Sie denn für Hoffnungen. Wird sich das vergiftete Verhältnis zwischen der Türkei und Armenien irgendwann verbessern?
Uyar: Es gibt ja keine diplomatischen Beziehungen zwischen diesen beiden Ländern. Ich kann weder für Armenien noch für die Türkei sprechen, aber ich denke mir, dass diese Leugnungspolitik, die staatlich aufoktroyiert worden ist, ein Aussöhnen zwischen den Menschen und zwischen den Völkern unmöglich macht. Wobei es in der Türkei auch eine große Anzahl von Menschen gibt - leider nicht im Mainstream verhaftet - die sich offen und ehrlich mit der eigenen Geschichte auseinandersetzen will und eine Aussöhnung mit den Armeniern anstrebt, aber sie werden leider kriminalisiert und verfolgt.
domradio.de: Wird das auch Thema sein, wenn jetzt am 24. April das Gedenken an 100 Jahre Völkermord ansteht?
Uyar: Das wird auf jeden Fall einen zentralen Platz haben bei uns. Im Übrigen gedenken wir nicht nur der armenischen Opfer, sondern wir gedenken auch derjenigen Türken, die sich seinerzeit für Armenier eingesetzt haben und es mit dem Gewissen nicht vereinbaren konnten, dass die eigene Bevölkerung in den Tod geschickt wird. In die Gebete fassen wir auch diese Leute mit ein.
Das Interview führte Matthias Friebe.