Das Armutsrisiko von Familien ist laut einer Studie der Bertelsmann Stiftung größer als bisher angenommen. Besonders drastisch sei die Situation für alleinerziehende Eltern, erklärte die Stiftung am Mittwoch in Gütersloh. Mit einer neu entwickelten Methodik haben Bochumer Wissenschaftler im Auftrag der Stiftung für alleinerziehende Eltern eine Armutsrisikoquote von 68 Prozent errechnet.
Das seien über 20 Prozentpunkte mehr als in früheren Untersuchungen, hieß es. In einer ersten Reaktion auf die Studie forderte das Deutsche Kinderhilfswerk eine grundlegende Reform der Familienförderung und erneuerte seine Forderung nach einer Kindergrundsicherung.
Armutsrisiko steigt mit Anzahl der Kinder
Bei Paaren mit Kindern liegt das Armutsrisiko der Bertelsmann-Studie zufolge um knapp drei Prozentpunkte über früher ermittelten Werten. So seien etwa 13 Prozent der Paare mit einem Kind armutsgefährdet, bei Paaren mit drei Kindern liege die Quote bei 18 Prozent.
Die neue, an der Ruhr-Universität Bochum entwickelte Rechenmethode soll nach Angaben der Stiftung "einen realistischeren Blick auf die Einkommenssituation von Familien ermöglichen". Bisher seien die Einkommen armer Haushalte durch die Anwendung der sogenannten OECD-Skala systematisch überschätzt und jene reicher Familien unterschätzt worden, hieß es. Leitende Autoren der Studie sind die Professorin für Sozialpolitik, Notburga Ott, und der Sozialökonom Martin Werding.
Die Untersuchung zeigt den Angaben zufolge zudem, dass in den vergangenen 25 Jahren Paare mit Kindern oder Alleinerziehende im Durchschnitt finanziell stets schlechter gestellt waren als kinderlose Paare. "Mit jedem zusätzlichen Kind wird die finanzielle Lage von Familien schwieriger", erklärte Jörg Dräger vom Vorstand der Bertelsmann Stiftung. Die Einkommensschere zwischen wohlhabenden und armen Familien sei in diesem Zeitraum weiter aufgegangen.
Mütter im größeren Umfang als zuvor berufstätig
Nur Familien, die ihre Erwerbstätigkeit ausbauen konnten, hätten ihre Einkommenssituation halten oder verbessern können, hieß es weiter. In der Regel seien die Mütter im größeren Umfang als zuvor berufstätig gewesen. Entscheidend hierfür sei der Ausbau der Kindertagesbetreuung gewesen. Dagegen hätten Kindergelderhöhungen die Situation von Familien mit Kindern nicht nachhaltig verbessert.
Das Kinderhilfswerk erklärte, "statt kleiner Reformschräubchen" sei bei der Förderung von Familien eine grundsätzliche Lösung in Form einer Kindergrundsicherung vonnöten. Sie könne das Existenzminimum von Kindern unabhängig von den finanziellen Möglichkeiten der Eltern, der Familienform und den bisherigen Unterstützungen gewährleisten.
Darüber hinaus sollte ein Bundeskinderteilhabegesetz für Kinder und Jugendliche aus Familien in prekären Lagen einen Rechtsanspruch auf Förderung und Teilhabe festschreiben, erklärte die Organisation.