Sabin ist blond und dünn, sehr dünn. Sie trägt schmale Jeans, die trotzdem locker um ihre Beine flattern und einen dicken Pullover, in dessen überlangen Ärmeln ihre knochigen Hände verschwinden. Wer sie ansieht, blickt in ein ausgehöhltes Gesicht. Sabin ist magersüchtig. Ihr und anderen Kranken widmet sich die Dokumentation "Dünn bis in den Tod. Meine Freundin, die Magersucht", die am Samstag um 18.05 Uhr auf ARTE zu sehen ist. Die Journalistin Ulrike Bremer versucht herauszufinden, warum junge Mädchen mitten in der Wohlstandgesellschaft aufhören zu essen und zu hungern beginnen, bis es zur Sucht wird. Viele sterben daran.
Magersucht ist die wohl am schwierigsten zu therapierende psychische Erkrankung mit der höchsten Todesrate. Verschwinden, unsichtbar werden wollte Sabin, als sie begann, das Essen zu verweigern. Ihr Fall ist besonders tragisch, weil ihre Mutter Therapeutin für Essstörungen ist. Bitter stellt die Mutter heute fest, dass sie wohl betriebsblind war, indem sie zunächst gar nicht bemerkte, wie sich ihre Tochter verändert. Seit sechs Jahren kämpft die junge Frau, die inzwischen studiert, gegen ihre Sucht und schafft es dennoch nicht, normal zu essen.
Es ist ein Teufelskreis
Auch Krankenschwester Sonja leidet unter Magersucht. Sie will zunehmen, hat aber gleichzeitig Angst vor "Fressanfällen". Magersüchtige schämen sich dafür, dass sie essen. Es ist ein Teufelskreis, dem sie nur mit langwieriger Therapie und großer Anstrengung entkommen können. Irgendwann wird das psychische zum physischen Problem: Wer lange extremes Untergewicht hat, der leidet unter schwerwiegenden Langzeitfolgen. Die Zähne gehen kaputt, die Haut wird schlecht, die Menstruation bleibt aus, Osteoporose zerstört die Knochen.
Ulrike Bremer wollte in die zunächst schwer nachvollziehbare Vorstellungswelt der Kranken vordringen. Um das Selbstbild von Sabin zu verstehen, besuchte sie mit ihr die Ausstellung "32 Kilo". Die Bilder der Fotokünstlerin Ivonne Thein zeigen superdünne, ja krankhaft magere Models. Eine Anklage gegen den Schlankheitswahn der
Werbe- und Modebranche. Auch Sabin findet die Fotos erschreckend, die Mädchen seien viel zu dünn. Ulrike Bremer lädt Sabin ein, sich professionell fotografieren zu lassen. Dieses Fotoshooting sei für sie und das Team sehr schwierig gewesen, völlig fertig habe sie die Arbeit gemacht, berichtet Bremer. Das begreift der Zuschauer, wenn er die Bilder sieht. Denn die Aufnahmen der nach eigenem Wunsch nur knapp bekleideten Sabin sind schwer zu ertragen. Die junge Frau ist nur noch ein Skelett.
In die Internet-Welt der Magersüchtigen
Die Autorin hat sich auch in die Internet-Welt der Magersüchtigen begeben. Ausgehend von Amerika, überschwemmen seit fünf Jahren "Pro-Ana-Foren" das Netz. Dort trifft sich eine verschworene Gemeinde von Essensverweigerinnen. Sie haben zehn Gebote, dazu Gebete, Psalmen und ein Glaubensbekenntnis. "Ana" steht für Anorexia nervosa, den medizinischen Fachbegriff für Magersucht. "Ana" wird als göttliche Freundin verehrt. Inkognito versuchte Ulrike Bremer vorzudringen in das für Gäste gesperrte Innere dieser Seiten. Es gelang ihr nicht. Sie habe keine Ahnung, was sie beim Ausfüllen des umfangreichen Aufnahmefragebogens falsch gemacht habe.
Ihr zuweilen verstörender Film zeigt aber auch Auswege. Sie besuchte das Therapie-Centrum für Essstörungen in München und sprach mit Mädchen, die es geschafft haben, wieder zu essen. Bremers Film zeigt einmal mehr, in welche Abgründe die Heranwachsenden fallen können. Die Journalistin wird Sabin und Sonja weiter begleiten. 2010 soll ein weiterer Film zeigen, ob die beiden sich bis dahin aus der Umklammerung durch die Magersucht befreien konnten.
Hinweis: "Dünn bis in den Tod. Meine Freundin, die Magersucht". Film von Ulrike Bremer. ARTE, Sa 27.6., 18.05 - 19.00 Uhr.
ARTE-Dokumentation über Magersucht
Wenn Ana zur besten Freundin wird
Magersucht ist die wohl am schwierigsten zu therapierende psychische Erkrankung mit der höchsten Todesrate. Die ARTE-Dokumentation "Dünn bis in den Tod" erzählt die Geschichte von Sabin und Sonja. Einfühlsam sucht der Film nach den Ursachen der Krankheit und zeigt die Folgen auf.

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