Sie fühle sich oft als Einzelkämpferin, sagt Peggy Kanacher. Umso wichtiger sei ihr dieser Tag in Köln, so die Bildhauerin aus Oberzier, die seit Jahrzehnten, wie sie betont, am Aschermittwoch der Künstlerinnen und Künstler teilnimmt. Hier erfahre sie die Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein. "Das gibt mir Kraft", unterstreicht die 76-Jährige, die vor allem sakrale Kunst macht und immer wieder mit ihrem Werk Anstoß erregt.
"Gerade wenn ich versuche, das Kreuz neu darzustellen, oft auf provokante Art, um Menschen mit ihm in die Auseinandersetzung zu führen, so dass das Kreuz für sie überhaupt zum Thema wird – dann ist es wichtig, den Rückhalt zu haben, dass ich niemanden damit verletze." Ein solcher Gottesdienst, aber auch die Begegnungen und Vernetzung innerhalb der Künstlerseelsorge sowie das Treffen mit den Kollegen gäben ihr die Sicherheit, dass es Haltepunkte gibt, an denen man sich festmachen könne. Daher sei für sie diese Veranstaltung so attraktiv.
Anja Becker-Chouati arbeitet als Kunsthistorikerin in der Denkmalpflege des Erzbistums und beschäftigt sich wie ihr Kollege Carsten Schmalstieg mit der Inventarisierung von Kirchen. "Dieser Gottesdienst ist ein Begegnungsraum für Künstler und der Aschermittwoch von daher einer der wenigern Momente, wo Kirche und Kunst so explizit und lebendig zusammentreffen. Total schön" findet das die 38-Jährige und freut sich über die Gelegenheit, dass einmal über die Begegnung mit den vielen künstlerischen Objekten in den Gemeinden hinaus die Kunstschaffenden dahinter sichtbar würden.
Genauso erlebt das Schmalstieg: gewissermaßen als "unbeabsichtigte Verabredung", bei der er zu manchem Kunstwerk, das er sonst in den Händen hält, begutachtet und auflistet, mehr Hintergrund erfahren kann. "Hier treffe ich viele Künstler, von denen ich oft nur ihre Werke kenne, und kann ganz direkt nachfragen. Für mich ist das der Höhepunkt des Jahres und motiviert mich für das, was ich mache." Das trage ihn durchs ganze Jahr.
Auch Günter Thelen hat in den letzten Jahren keinen "Aschermittwoch der Künstler" verpasst. Ab und zu tue es gut, räumt der 80-Jährige aus Nörvenich ein, in der Gemeinschaft Gleichgesinnter zu sein. "Das gibt mir Energie und ist Freude pur." Kunst sei immer ein geistiges Produkt und ziehe ins Religiöse, meint der Bildhauer, der sich als "Schlusswerk" seiner künstlerischen Tätigkeit vorgenommen hat, aus einem großen Marmorblock einen Engel herauszuschlagen.
Der Entwurf stehe bereits, doch die eigentliche Arbeit habe er noch vor sich. "Religion ist für mich ein wichtiger Erkenntnisweg", fügt er noch hinzu, macht aber auch keinen Hehl daraus, dass er für "altbacken" hält, was verkündigt wird. "Aber der Kern der Botschaft ist unverwüstlich und eine belebende Kraft." Er freue sich an diesem Tag – das gibt er unumwunden zu – vor allem auf die Geselligkeit nach dem Gottesdienst. "Da lerne ich immer interessante Leute kennen."
Künstler und Kunstinteressierte
Doch nicht alle, die an diesem Vormittag mit dem Kölner Erzbischof den Beginn der Fastenzeit feiern und sich ein Kreuz auf die Stirn zeichnen lassen, sind von Berufs wegen unmittelbar mit Kunst oder Kultur befasst. Manche fallen eher in die Kategorie "Kunstinteressierte" oder kommen, weil sie gezielt eine Predigt von Kardinal Woelki hören wollen. Andere schätzen die würdige Feierlichkeit dieser Messe und suchen nach tagelangem Ausgelassensein ein Stück Innerlichkeit und Besinnung.
Zum Beispiel Horst Schmutzer, der zur Kölner Ehrengarde gehört, jetzt aber mit seiner Frau Maria eigens aus Frankfurt angereist ist, um den Gottesdienst, den sie, wie er erzählt, sonst jeden Morgen als Übertragung aus der Marienkapelle empfingen, nun live an Ort und Stelle mitzufeiern. Oder Evelin Birken-Beul, die mit ihrer Tochter Diana aus dem Westerwald gekommen ist, weil es ihr gezielt um den Empfang des Aschenkreuzes geht und einen geistlichen Neuanfang für ihre Tochter. "Ich bitte für sie um Stärkung und Heilung", erklärt sie.
Wie immer sind es der geistliche Zuspruch und der Aufruf zur Umkehr, Buße und Erneuerung während der 40-tägigen Fastenzeit, die als zentrale Botschaft von diesem Gottesdienst ausgehen, der bewusst schlicht gehalten ist und an dem der alte und der neue Künstlerseelsorger, Prälat Josef Sauerborn und Diakon Patrick Oetterer, teilnehmen.
Über die Beziehung von Kirche und Kunst hatte Oetterer, im Vorfeld festgestellt: "Der Aschermittwoch der Künstler geht auf die Überzeugung zurück, dass Kunst und Kirche – Künstler und Seelsorger – sich gegenseitig bereichern können. Kunst kann dem Glauben eine Form geben und stellt Fragen zu Welt, Gott und Mensch auf eine kreative und manchmal provokative Weise. Künstler sind dabei wie Seismographen, die menschliche Tiefen erforschen, um daraus Impulse für die Gestaltung der Welt anzuregen."
Gerade sie verstünden, dass ein Leben ohne Gott an Fülle verliere und stattdessen innere Leere, Einsamkeit und Perspektivlosigkeit drohten. "Aus Sicht der Kirche sollte also jede Kunst gestärkt, ermutigt und unterstützt werden, die den Menschen vor und in dem Geheimnis der Liebe Gottes begreift."
Die Zahl 40 kommt im Alten und Neuen Testament vor
In seiner Predigt erinnert Erzbischof Woelki an den Zusammenhang zwischen der 40-tägigen Vorbereitungszeit auf Ostern, der Quadragesima, und den 40 Fasttagen Jesu in der Wüste, den 40 Tagen, die Mose fastend auf dem Berg Sinai verbringt, an die 40 Tage, in denen Elias zum Gottes Berg Horeb wandert, und an die 40 Tage und 40 Nächte, während denen auch Abraham auf dem Weg zum Berg Horeb weder Speise noch Trank zu sich nimmt, sich stattdessen allein vom Anblick und den Worten eines begleitenden Engels ernährt.
Und nicht zuletzt, so der Kardinal, erinnerten sie auch an die 40 Jahre, in denen Israel durch die Wüste wandern musste, sich gegen seinen Gott auflehnte, über ihn murrte und zu seinem früheren Heidentum zurückkehren wollte.
Ihm komme es so vor, als erlebe auch die Kirche gerade in besonders eklatanter Weise eine solche Zeit in der Wüste, in der lieber auf das ohnmächtige Wort und die wehrlose Liebe verzichtet werde, es stattdessen darum gehe, die Menschen gewissermaßen kundenfreundlich mit dem zu versorgen, was sie selbst wollten: nämlich Brot, Sensation und den Triumph der Macht.
"Die Wüstenzeit Israels und die Wüstenzeit der Kirche heute sind in der Tat Zeiten der Versuchung, deren Kern das Beiseiteschieben Gottes ist, der angesichts der Schwerkraft des Vordergründigen in unserem Leben als Frage zweiter Ordnung erscheint", mahnt Woelki wörtlich.
"Sich selber, die Bedürfnisse und Wünsche des Augenblicks, wichtiger zu nehmen als ihn – das ist die Versuchung, die uns immer bedroht. Denn darin wird Gott sein Gottsein abgesprochen. Und wir machen uns selbst oder vielmehr die uns bedrohenden Mächte zu unserem Gott."
Jesus habe diese Grunderfahrung dadurch überwunden, dass er am Primat Gottes und seinem Willen festgehalten habe. "Deshalb ist für ihn die Wüste nicht nur die Zeit der äußersten Gefährdung und Versuchung, sondern auch die Zeit einer besonderen Nähe zu Gott."
Wüstenwanderung als Zeit der ersten Liebe
Die Fastenzeit aber könne zu einer Zeit der Gnade werden, wenn aus dem Leiden der Wüste eine neue Liebe erwachse. "Wenn wir mit Jesus bewusst den Weg in die Wüste gehen, um in der Einsamkeit mit dem himmlischen Vater unser Leben neu zu orientieren. Von hier aus heißt es dann, den Weg zu den uns anvertrauten Menschen zu gehen, und zwar in der Grundüberzeugung des christlichen Glaubens: dass letztlich nur dort, wo Gott in der Welt anerkannt wird, auch der Mensch zu Ehren kommt."
Israel habe damals rückblickend die 40 Jahre der Wüstenwanderung als die Zeit der ersten Liebe Gottes zu seinem Volk und umgekehrt verstanden. So seien auch die 40 Tage zwischen Aschermittwoch und Ostern eine Einladung an jeden, sich an diese erste Liebe, die ihm bereits in der Taufe begegnet sei, zu erinnern und diese wieder neu zu entfachen.