Oft jahrzehntelang haben sie sich in ihrer Gemeinde engagiert, waren im Kirchenchor, haben den Adventsbasar organisiert oder für das Pfarrfest Kuchen gebacken. Bei einer einsetzenden Demenzerkrankung ziehen sich die einst so Aktiven oft zurück - dabei leben sie meist weiterhin in ihrem Zuhause, gleich nebenan. Doch wie sollen Gemeinden mit ihren an Demenz erkrankten Pfarrangehörigen umgehen? Die Woche für das Leben rückt sie in diesem Jahr in den Blick.
Im Stadtdekanat Köln wurde bereits vor zehn Jahren das Projekt "Dabei und mittendrin - Gaben und Aufgaben demenzsensibler Kirchengemeinden" ins Leben gerufen. Ziel der ökumenischen und auf drei Jahre befristeten Initiative war es unter anderem, dass Betroffene am Gemeindeleben teilhaben können. Dafür wurden auch Hauptamtliche und ehrenamtliche Besuchsdienstler im Umgang mit dementen Menschen geschult. Obwohl das Projekt längst ausgelaufen sei, beobachtet Elmar Trapp, im Erzbistum Köln zuständig für die Altenheimseelsorge, weiter reges Interesse. "Es gibt noch immer Nachfragen aus ganz Deutschland und dem deutschsprachigen Ausland."
Trapp besucht regelmäßig Menschen mit Demenz. Für ihn ist das biblische Wort "Was willst Du, das ich Dir tue?" (Lk 18,41) dabei eine Orientierung. Wichtig ist ihm, "den Menschen auf Augenhöhe zu begegnen, sich ihrem Tempo anzupassen und sie nicht zuzutexten".
Kirchengemeinden seien herausgefordert, diese Menschen ernstzunehmen, wertzuschätzen und ihnen zuzuhören, was sie wirklich bräuchten, statt sie zu "bepredigen".
Fachstelle Demenz im Erzbistum München und Freising
Ihrer Zeit voraus ist auch die 2012 gegründete Fachstelle Demenz im Erzbistum München und Freising - die bislang einzige ihrer Art im ganzen deutschsprachigen Raum. Maria Kotulek ist dort als Fachreferentin für Demenz eingestellt, schult Seelsorgende und hat Handreichungen entwickelt. Ob die Erkrankung in den Gemeinden wahrgenommen wird, hängt nach ihrer Beobachtung davon ab, "wie wichtig den Haupt- und Ehrenamtlichen das Thema ist".
Im Erzbistum werde derzeit die Seniorenpastoral umstrukturiert und in größeren Sozialräumen gedacht. Das sei auch eine Chance, die Sensibilität für das Thema weiter zu "pushen". Dabei geht es aus ihrer Sicht eher um eine bestimmte Einstellung gegenüber Menschen mit Demenz als um besondere Angebote für sie. Letztendlich sollten sie an jeder Veranstaltung teilnehmen können.
Kotulek bietet zudem spezielle "Vergiss-mein-nicht"-Gottesdienste an, eine Idee der Alzheimergesellschaft, die sie für das Bistum übernommen hat. Unter anderem werden dabei bekannte Lieder und Gebete angestimmt, in die die Teilnehmer einstimmen können. Sie machten dabei die stärkende Erfahrung, "ich kann noch was, es ist noch was da von meinem Wissen", erklärt die Theologin.
Ökumenische App zur Unterstützung
Ein wichtiges Element sei der abschließende Einzelsegen: "Das ist für die Menschen etwas ganz Wertvolles, das sie noch aus ihrer Kindheit von den Eltern kennen und sonst kaum noch erleben". Dieser Segen tue auch den Angehörigen gut, die sich in ihrer persönlichen, oft belastenden Situation gesehen und angesprochen fühlten. Um sie zu unterstützen, hat Kotulek soeben den DemenzGuide mit auf den Weg gebracht, eine ökumenische App zur Unterstützung von Angehörigen demenzkranker Menschen.
Auch im Erzbistum Freiburg ist das Thema auf dem Schirm, erklärt Theresa Betten, stellvertretende Leiterin des Referats Inklusion-Generationen. So habe es in diesem Frühjahr eine dreiteilige Reihe gegeben, an der über 360 Personen teilgenommen hätten. "Wir müssen da dranbleiben, das Thema beschäftigt immer mehr Menschen", so Bettens Fazit. Das Erzbistum veranstaltet fast parallel zur Woche für das Leben rund um den Internationalen Tag der Inklusion am 5. Mai eine eigene Aktionswoche, bei der es auch um Demenz geht.
Auf einer Homepage sind zahlreiche Informationen und Handreichungen zum Thema aufgeführt. Unter anderem wird dazu eingeladen, die eigene Haltung zu hinterfragen, etwa wie über Menschen mit Demenz gesprochen wird - als "Verwirrte", "Demente" oder "Menschen mit Demenz". Weitere Fragen, die zu einer wertschätzenden Haltung führen sollen: Wird über oder mit den Betroffenen gesprochen? Werden Menschen mit Demenz überhaupt gefragt, was sie möchten und brauchen? Sind sie bei der Gestaltung von Angeboten einbezogen?
In der evangelischen Kirche ein Anliegen
Auch der evangelischen Kirche ist das Thema ein Anliegen, das mitunter sehr kreativ angegangen wird. Ein Beispiel ist das bereits 1999 ins Leben gerufene "Geistliche Zentrum für Menschen mit Demenz und Angehörige" des evangelischen Kirchenkreises Tempelhof-Schöneberg.
Unter anderem auf dem Programm stehen Besuche mit dem Leierkasten, ein monatliches Tanzcafe, Innenhof-Mitsingkonzerte und ein "Alzheimer-Salon", in dem demenziell erkrankten Talenten für ihr künstlerisches Können eine Bühne geboten wird - außerdem spirituelle Angebote.
Laut Sozialpädagogin Katrin Albroscheit nutzen dies Menschen unterschiedlicher Nationen und Religionen. Ein Schwerpunkt sei die Fort- und Weiterbildung für Angehörige und Pflegende und der Austausch zum Thema Glaube/Spiritualität und Demenz.
In einigen evangelischen Gemeinden gebe es - wie in Berlin - schon seit mehr als zehn Jahren "regelmäßige anschauliche, sinnliche und stärkende Gottesdienste und andere Angebote für Menschen mit Demenz und ihre Angehörigen", sagt Anita Christians-Albrecht, Pastorin und Beauftragte für Altenseelsorge in Hannover; bei anderen beginne die Auseinandersetzung mit dem Thema erst. Wichtig ist aus Sicht der Seelsorgerin, dass Menschen, die mittelbar oder unmittelbar von dieser Krankheit betroffen sind, "nicht allein gelassen werden und sich auch weiterhin als Teil der Gemeinde und Gemeinschaft erleben".
Teilhabe für demenziell Erkrankte
Es gehe um Teilhabe für demenziell Erkrankte, ihre Familien und Freunde - ob im Gottesdienst, Kirchenchor oder beim Seniorenkreis.
Die Begegnung biete auch die Chance, zu einem ganzheitlichen Menschenbild zu finden, das nicht allein geprägt sei von Produktivität und kognitiver Leistung. "Am Thema Demenz zeigt sich, ob unser Reden über Würde im Alter tragfähig ist", findet die Pastorin. Vor allem aber geht es für sie um eine wertschätzende Haltung, den Demenzerkrankten in seiner eigenen Welt zu begleiten. Um sich noch mehr auf diese für viele so befremdliche Welt einzulassen, soll es nicht bei der "Woche für das Leben" bleiben. In der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers wird das ganze Jahr 2023 unter dem Motto Demenz stehen.