Mit einem symbolischen Akt endete am Abend des 6. Januar seine Amtszeit: Justin Welby legte seinen Bischofsstab auf den Altar in der Kapelle im Londoner Lambeth Palace, der Residenz des Erzbischofs von Canterbury. Sein letzter Tag im Amt als geistliches Oberhaupt von weltweit 85 Millionen Gläubigen war auch Welbys 69. Geburtstag. Jetzt ist die anglikanische Kirche ist bis auf weiteres ohne eine Spitze.
Die Nummer Zwei in der Hierarchie, der Erzbischof von York, Stephen Cottrell, übernimmt die offiziellen Funktionen des Erzbischofs von Canterbury, bis ein Nachfolger oder vielleicht sogar eine Nachfolgerin gefunden ist. Wie wird ein neuer Chef für die insgesamt 108 Bischöfe der Kirche von England ausgewählt?
Wahlkomitee, aber kein Konklave
Bei der Suche nach einem neuen Erzbischof von Canterbury gibt es weder ein Konklave noch weißen Rauch. Der Auswahlprozess liegt in den Händen der Crown Nominations Commission, einem Wahlkomitee, das aus 16 stimmberechtigten Mitgliedern besteht.
Als Vorsitzender fungiert der frühere Chef des Inlandsgeheimdienstes MI5, Jonathan Evans, der vom englischen Premierminister Keir Starmer ausgewählt wurde. Er erfüllt die Vorgabe, ein aktives Mitglied der Kirche von England zu sein.
Übergangsverwalter gehört der Wahlkommission an
Dieser Wahlkommission gehört auch der Übergangsverwalter an. Cottrell sieht sich nach eigenen Angaben aber nicht als Kandidat für Welbys Nachfolge. Außerdem gilt er als angezählt wegen seines Verhaltens in einem Missbrauchsfall - tatsächlich wurde auch schon sein Rücktritt gefordert.
Im Fall einer Vakanz des Bischofsstuhls von York würden im übrigen die gleichen Regeln gelten wie für die Kür eines neuen Erzbischofs von Canterbury. Auch dann müsste eine Crown Nominations Commission zusammengestellt werden.
Laien und Geistliche
Die weiteren Mitglieder der Auswahlkommission sind sowohl Geistliche wie auch Laien. Zum ersten Mal werden fünf Mitglieder aus der weltweiten anglikanischen Gemeinschaft kommen, die generell als konservativer gilt als die "Church of England". Die Namen aller Mitglieder des Wahlkomitees sollen im März bekannt gegeben werden.
Das Wahlkomitee wird nach Medienberichten voraussichtlich zwischen Frühjahr und Herbst mindestens dreimal zusammentreten, bevor in geheimer Wahl über die gefundenen Kandidaten abgestimmt wird. Der erfolgreiche Kandidat muss zwei Drittel der Stimmen auf sich vereinen.
Wenn dann ein Kandidat gefunden ist
Die Kommission muss die Herausforderungen, vor denen sich die anglikanische Kirche in England und der Welt gestellt sieht, identifizieren und zwei Kandidaten aussuchen, denen sie zutraut, diese Aufgaben zu bewältigen. Nach der geheimen Abstimmung übermittelt die Crown Nominations Commission die Namen ihrer beiden Kandidaten an den Premierminister. Dieser wiederum informiert König Charles III. und rät ihm an, den Top-Kandidaten zu ernennen.
Der König ist das weltliche Oberhaupt der anglikanischen Kirche. In früheren Jahrhunderten konnte er nach Belieben Bischöfe ernennen oder absetzen. Heute muss er die Entscheidung des Wahlkomitees und des Premierministers akzeptieren.
Die Queen war nicht immer einverstanden
Die 2022 verstorbene Queen Elizabeth II. hat während ihrer langen Regierungszeit an der Ernennung von insgesamt sechs Erzbischöfen von Canterbury mitgewirkt, zuletzt bei Justin Welby. Nach Angaben ihrer Biografin Sarah Bradford hat die Queen sehr subtil auf die Wahl eines Bischofs reagiert, der ihr nicht wirklich gefiel. Sie fragte nach weiteren Informationen, was der Premierminister durchaus verstand. Blieb er dann dennoch bei seinen Vorschlägen, stimmte sie zu, um einen offenen Konflikt zu vermeiden.
Für König Charles III. ist es eine Premiere. Hat er seine Zustimmung gegeben, wird der Auserkorene informiert und gefragt, ob er oder vielleicht sogar sie die Wahl annehmen will. Dann verkündet der Premierminister den Namen, die anschließende Wahl des neuen Erzbischofs durch das Kollegium der Geistlichen an der Kathedrale von Canterbury ist dann nur noch eine Formsache.
Der Wahlprozess kann dauern - bis zum Herbst
Bevor der Kandidat feierlich in sein Amt eingeführt wird, ist aber noch die Zustimmung eines weiteren Bischofskomitees erforderlich. Im Gegensatz zur katholischen Kirche, die einen genauen Zeitplan hat, wie ein Nachfolger für den Papst gewählt wird, so dass das wichtigste Amt in der Kirche nicht lange unbesetzt bleibt, kann sich die Wahl bei den Anglikanern hinziehen. Die "Church Times" will erfahren haben, dass man mit einem Ergebnis erst im Herbst rechne.
Es heißt, die Kandidaten für diese wichtige Leitungsposition sollen sehr wahrscheinlich aus dem Personenkreis stammen, der bereits "bedeutende Führungsrollen" in der Kirche innehabe. Nach ersten Medienberichten stehen die Chancen für diese vier Bischöfe gut: Martyn Snow aus Leicester, Graham Usher aus Norwich und Guli Francis-Dehqani, Bischöfin von Chelmsford.
Geboren im persischen Isfahan, musste sie als 14-Jährige mit ihrer Familie im Zuge der Iranischen Revolution fliehen. Regierungsbeamte hatten ihren Bruder umgebracht. Guli entstammt einer Dynastie anglikanischer Bischöfe, 2017 wurde sie selbst in den Episkopat der Kirche von England aufgenommen. Bei der Krönung von Charles III. sahen sie Millionen Fernsehzuschauer am Altar in Westminster Abbey.
Auch mehrere Namen von Frauen kursieren
Genannt wird aber auch Helen-Ann Hartley, die Bischöfin von Newcastle. Sie hat sich zur Rolle Welbys in dem Missbrauchsfall alseinziges Mitglied des Episkopats sehr deutlich geäußert und seinen Rücktritt gefordert.
Desweiteren kursieren folgende Namen: Rose Hudson-Wilkin (63), Bischöfin von Dover. Sie ist die erste schwarze Frau, die in der Church of England Bischöfin wurde; Sarah Mulally (62), Bischöfin von London, und Rachel Treweek (61), Bischöfin von Gloucester.
Wer immer den Top-Job in der anglikanischen Kirche bekommt, er oder sie muss die zerrissene Gemeinschaft irgendwie zusammenhalten. Konservative und Progressive haben ihre starken Lager, und die Frage nach dem Umgang mit homosexuellen Partnerschaften hat immer noch das Potenzial, einen Bruch auszulösen.