Die anglikanische Kirche ist im Moment ohne eine Spitze. Die Nummer Zwei in der Hierarchie, der Erzbischof von York, Stephen Cottrell, führt vorübergehend die Amtsgeschäfte, bis ein Nachfolger oder vielleicht sogar eine Nachfolgerin gefunden ist. Wie wird ein neuer Chef für die insgesamt 108 Bischöfe der Kirche von England ausgewählt?
Bei der Suche nach einem neuen Erzbischof von Canterbury gibt es weder ein Konklave noch weißen Rauch. Der Auswahlprozess liegt in den Händen der Crown Nominations Commission, einer Kommission, die aus 16 stimmberechtigten Mitgliedern besteht. Als Vorsitzender fungiert der frühere Chef des Inlandsgeheimdienstes MI5, Jonathan Evans, der von dem englischen Premierminister Keir Starmer ausgewählt wurde.
Ein ebenfalls angezählter Erzbischof von York
Dieser Wahlkommission gehört auch der zweitwichtigste Bischof der Kirche von England an, eben Stephen Cottrell, der Erzbischof von York. Er führt momentan die Amtsgeschäfte für das Erzbistum Canterbury und die weltweite anglikanische Gemeinschaft, zu der rund 85 Millionen Menschen gehören. Allerdings gilt auch er als angezählt wegen seines Verhaltens in dem Missbrauchsfall, der schon Justin Welby zum Verhängnis wurde.
Die weiteren Mitglieder der Auswahlkommission sind sowohl Geistliche wie auch Laien - im Gegensatz zur katholischen Kirche, wo nur Geistliche schlussendlich gemäß dem Kirchenrecht über die Wahl von Bischöfen entscheiden. In Deutschland ist es übrigens eine zentrale Forderung des katholischen Reformprojekts Synodaler Weg, zukünftig auch Laien an der Wahl von Bischöfen zu beteiligen.
Wenn dann ein Kandidat gefunden ist
Die Kommission muss die Herausforderungen, vor denen sich die anglikanische Kirche in England und der Welt gestellt sieht, identifizieren und zwei Kandidaten aussuchen, denen sie zutraut, diese Aufgaben zu bewältigen. Dann übermittelt die Crown Nominations Commission die Namen ihrer beiden Kandidaten an den Premierminister.
Dieser wiederum informiert König Charles III. und rät ihm an, den Top-Kandidaten zu ernennen.
Der König ist das weltliche Oberhaupt der anglikanischen Kirche. In früheren Jahrhunderten konnte er nach Belieben Bischöfe ernennen, absetzen oder wie im 16. Jahrhundert, sie sogar verbrennen lassen.
Das geschah 1556 mit Thomas Cranmer, dem ersten protestantischen Erzbischof von Canterbury. Heute muss er die Entscheidung des Wahlkomitees und des Premierministers akzeptieren.
Die Queen war nicht immer einverstanden
Die 2022 verstorbene Queen Elizabeth II. hat nach Angaben ihrer Biografin Sarah Bradford sehr subtil auf die Wahl eines Bischofs reagiert, der ihr nicht wirklich gefiel. Sie fragte dann nach weiteren Informationen, was der Premierminister durchaus verstand.
Blieb er dann dennoch bei seinen Vorschlägen, stimmte sie zu, um einen offenen Konflikt zu vermeiden.
Für König Charles III. ist es der erste Erzbischof von Canterbury, an dessen Auswahl er offiziell beteiligt ist. Hat er seine Zustimmung gegeben, wird der Top-Kandidat informiert und gefragt, ob er oder sogar sie die Wahl annehmen will. Dann verkündet der Premierminister den Namen, und das Kollegium der Geistlichen an der Kathedrale von Canterbury wählt ihn formal zum neuen Erzbischof.
Der Wahlprozess kann dauern
Ein weiteres Bischofskomitee muss ebenfalls seine Zustimmung geben, bevor der Kandidat feierlich in der Kathedrale in sein Amt eingeführt wird. Im Gegensatz zur katholischen Kirche, die einen genauen Zeitplan hat, wie ein Nachfolger für den Papst gewählt wird, so dass das wichtigste Amt in der Kirche nicht lange unbesetzt bleibt, kann sich die Wahl bei den Anglikanern hinziehen.
Nach ersten Medienberichten stehen die Chancen für diese vier Bischöfe gut: Martyn Snow, der Bischof von Leicester, Graham Usher, der Bischof von Norwich und Guli Francis-Dehqani, die Bischöfin von Chelmsford. Genannt wird aber auch Helen-Ann Hartley, die Bischöfin von Newcastle. Sie hat sich zur Rolle Welbys als einziger Bischof sehr deutlich geäußert und seinen Rücktritt gefordert.
Wer immer den Top Job in der anglikanischen Kirche bekommt, er oder sie muss die zerrissene Gemeinschaft irgendwie zusammenhalten.
Konservative und Progressive haben ihre starken Lager, und die Frage nach dem Umgang mit homosexuellen Partnerschaften hat immer noch das Potenzial, einen Bruch auszulösen.