DOMRADIO.DE: Für viele Jugendliche waren die vergangenen Monate der Pandemie nicht einfach. Es gab Online-Unterricht und viele Freizeitaktivitäten waren nicht möglich. Diese Jugendlichen können nicht alleine gelassen werden, hat die katholische Stadtjugendseelsorge Bonn gesagt und Gesprächsmöglichkeiten angeboten. "Sprich dich aus", heißt das Format, das Sie entwickelt haben. Seit gut fünf Monaten läuft diese Aktion jetzt. Wie wurde das in den letzten Monaten angenommen?
Christian Jasper (Stadtjugendseelsorger in Bonn): Das ist sehr unterschiedlich. Einerseits haben wir festgestellt, dass es wenig Rückmeldungen gab, die sich wirklich offiziell über Zoom zu den vorher vorgesehenen Zeiten gemeldet haben. Gleichzeitig war aber der Bedarf doch groß. Ganz viele haben offenbar unsere Plakate zum Anlass genommen, uns dann nochmal persönlich anzusprechen, sich vielleicht auch eher zum Spazierengehen zu treffen statt vor Ort. Vielleicht war das dann gerade unsere Stärke, dass wir eben nah dran sind und man auch nochmal einen persönlichen Kontakt herstellen konnte.
DOMRADIO.DE: Sie können natürlich keine Details über einzelne Gespräche verraten, aber was waren denn so die großen Themen, die die Jugendlichen mitgebracht haben?
Jasper: Das waren Probleme aus dem gesamten Lebensumfeld. Manche hatten zu Hause Probleme, dass ihnen die Decke auf den Kopf fiel, dass es in der Familie oder in der Beziehung Streit gab. Andere taten sich mit der Schule, mit dem Online-Unterricht und mit all seinen Herausforderungen sehr schwer.
Als Seelsorger wurden an mich aber auch Todesfälle im Familienkreis herangetragen. Bei all den Situationen war es, glaube ich, wichtig, dass man mal jemanden hat, um in Ruhe über diese Probleme zu sprechen, um damit auch die eigene Verarbeitung anzustoßen.
DOMRADIO.DE: Konnten Sie den Jugendlichen denn konkrete Ratschläge oder Hilfen mit auf den Weg geben? Oder waren die in erster Linie einfach froh, dass überhaupt jemand zuhört?
Jasper: Das Wichtigste war in der Tat das Zuhören und aus den Problemen muss man dann ja doch selber wieder einen Weg hinaus finden. Aber es gab schon konkrete Weitervermittlungen, wenn jemand Hilfe bei den Hausaufgaben oder beim Online-Unterricht brauchte. Da konnten wir natürlich konkrete Tipps geben.
DOMRADIO.DE: Die Pandemie ist ja noch nicht vorbei. Trotzdem ist im Moment wieder mehr persönlicher Kontakt möglich. So ein Gespräch über Zoom ersetzt ja auch keinen direkten Kontakt. Sie sagten schon, vereinzelt gab es auch Bedarf nach Spaziergängen. Würde es dieses oder ein ähnliches Format denn im Blick auf die Zukunft weiterhin präsent geben?
Jasper: Die Kirche muss ansprechbar bleiben für die Probleme der Menschen, gerade auch in der Krise. Deswegen werden wir auf jeden Fall überlegen, wie wir dieses Format fortsetzen oder weiterentwickeln können. Wir müssen offenbar nochmal neu schauen, wie es uns denn gelingt, dass wir für die Menschen auch erreichbar sind. Wir dürfen nicht nur sagen "Sprecht uns ruhig an", sondern müssen das passende Format finden, damit das dann auch gelingt.
In den vergangenen Monaten haben wir uns wahrscheinlich zu Recht viel darum gekümmert, dass sich niemand infiziert. Jetzt in den kommenden Monaten wird die Herausforderung sein, auch auf die Seele der Menschen, auf die Psyche zu schauen, dass man auch da gesund ist.
DOMRADIO.DE: Sie haben ja einiges mitbekommen, was Jugendliche in einer Pandemie bewegt hat oder womit sie zu kämpfen hatten. Wurden denn Kinder und Jugendliche aus ihrer Sicht in dieser Zeit genug in den Blick genommen?
Jasper: Ich halte nichts davon, jetzt mit Blick auf die Corona-Pandemie unterschiedliche Generationen gegeneinander auszuspielen. Aber klar ist jedenfalls, dass Kinder und Jugendliche, damit sie sich gut entwickeln können, den Kontakt zu Gleichaltrigen brauchen und deswegen natürlich unter dem Lockdown besonders gelitten haben. Und ein zweiter Aspekt: Oft drehte sich die ganze Diskussion ja sehr um die Schule, ob nun der Unterricht in Präsenz oder digital stattfindet.
Zur Erziehung und Entwicklung gehört aber viel mehr als Schule. Auch all die Freizeitangebote, die ja auch im verbandlichen Bereich oft gemacht werden, müssen verstärkt in den Blick genommen werden, dass sie jetzt auch wieder möglich sind, spätestens nach den Sommerferien.
Das Interview führte Julia Reck.