Der von FDP, Grünen und Die Linke vorgelegte Entwurf scheiterte zwar im Parlament, wurde aber auch von Union, SPD und Kirchen als guter Ausgangspunkt gewürdigt. Es war gleichsam ein Scheitern auf hohem Niveau. Nun taucht der Punkt wieder in den Wahlprogrammen von Grünen, FDP und Linken auf.
Staatsleistungen Thema im Wahlkampf?
Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil das Thema ziemlich speziell ist. Sie sehen darin aber eine notwendige Entflechtung der Abhängigkeiten von Kirchen und säkularem Staat in einer pluralen Gesellschaft. Die SPD hat ihre programmatischen Aussagen zu Kirchen und Religionsgemeinschaften diesmal denkbar kurz gehalten, dürfte sich dem Anliegen aber nicht verschließen. Die Wahlaussagen der CDU und CSU liegen noch nicht definitiv vor. Aber auch hier hatten sich Fachpolitiker in den Parlamentsdebatten das Anliegen durchaus zu eigen gemacht. Und in der gemeinsamen Stellungnahme von Katholischem Büro und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) zur Gesetzesvorlage war die Rede von einer "hilfreichen Grundlage für weitere notwendige Erörterungen".
Jährliche Staatsleistungen von rund 550 Millionen Euro
Worum geht es? Jahr für Jahr erhalten die beiden großen Kirchen neben den Kirchensteuern sogenannte Staatsleistungen. Allein 2020 beliefen sie sich auf über 550 Millionen Euro; etwa 60 Prozent gehen an die evangelischen Landeskirchen, die übrigen 40 Prozent an die katholische Kirche, die damit unter anderem Gehälter für Kleriker bezahlt.
Die meisten dieser Leistungen gehen auf das Jahr 1803 zurück: Damals wurden zahlreiche Kirchengüter auf der rechten Rheinseite enteignet und verstaatlicht. Nutznießer waren deutsche Reichsfürsten, die damit für Gebietsverluste an Frankreich auf der linken Rheinseite entschädigt wurden. Sie verpflichteten sich wiederum, den Kirchen regelmäßige Unterhaltszahlungen zu leisten, damit diese weiter ihre Aufgaben leisten konnten.
Vor über 100 Jahren bestimmte dann die Weimarer Verfassung, dass diese Leistungen abzulösen sind. Das Grundgesetz übernahm die Verpflichtung. Demnach muss der Bund ein "Grundsätzegesetz" erlassen.
Kirchen grundsätzlich offen für Ablösung
Es soll Rahmenbedingungen schaffen für Vereinbarungen zwischen den Bundesländern, die die Zahlungen leisten, und den Kirchen. Kirche und Länder können aber auch außerhalb eines Grundsätzegesetzes ablösen, wenn Einvernehmen besteht. Davon wurde in der Vergangenheit immer wieder Gebrauch gemacht. Eine umfassende Lösung steht aber noch aus.
Die Kirchen haben ihr grundsätzliches Interesse für eine Ablösung der Staatsleistungen bekundet. Die Zeit drängt. Denn mit fortschreitender Säkularisierung wird es nicht einfacher, etwa die vom Staat geleisteten Gehälter für Bischöfe und Domherren öffentlich zu rechtfertigen. Die Länder können sich den Zahlungen aber nicht einfach entziehen, wie dies ein Gesetzentwurf der AfD vorsah. Die Partei wollte die Zahlung nach einer bestimmten Frist einfach einstellen. Rechtsexperten wiesen dies als verfassungswidrig zurück, zumal die Zahlungen keine Schuldentilgung sind, sondern dauerhafter Ersatz für entgangene Erträge.
Sollte das Vorhaben nun Eingang in einen kommenden Koalitionsvertrag finden, spricht viel dafür, rasch eine Kommission mit Vertretern aus Kirche, Wissenschaft, Bund und Ländern einzurichten, wie dies die SPD-Politikerin Barbara Hendricks bereits vorschlug. Das Thema ist äußerst komplex. Zu den einfacheren Aufgaben dürfte es gehören, ein freundschaftliches Einvernehmen zwischen Bund und Heiligem Stuhl herbeizuführen, wie es das Konkordat verlangt.
Verschiedene Interessen prallen aufeinander
Die Interessenlagen der einzelnen Länder sind ebenso verschieden wie jene der einzelnen Diözesen und Landeskirchen. So betont das Bistum Augsburg: "Wir verweigern uns dem grundsätzlichen Dialog nicht, sehen aber keinen Handlungsbedarf". Ebenso erscheint das Anliegen nicht jeder Regierung opportun - und die Voraussetzungen sind unterschiedlich. Das bayrische Konkordat sieht etwa vollen Wertersatz vor. Davon wird ohne Not schwer abzurücken sein.
Baden-Württemberg wiederum hat nach jahrelangen aufwendigen Verfahren vor Kurzem alles erneut vereinbart und will nun keine neuen Verhandlungen. Auch Bayern, Schleswig-Holstein, Sachsen-Anhalt und Niedersachsen sehen derzeit keine Notwendigkeit, das Thema aufzugreifen.
Sollte das Vorhaben aber vom Bund aufgegriffen werden, dürften diese Bundesländer durchaus Interesse haben, bei der Abfassung eines Grundsätzegeseztes mitzureden. Dabei wäre zunächst zu klären, was alles darunter fällt: Ob neben den "positiven Staatsleistungen", also den "jährlich zu leistenden Zahlungen", auch die "negativen" Staatsleistungen geregelt werden sollen. Dabei handelt es sich etwa um Steuer- und Abgabebefreiungen der Kommunen.
Berechnung des Finanzvolumens nötig
Der heikelste Punkt ist die Berechnung des Finanzvolumens. Nach dem Gesetzentwurf von FDP, Grüne und Linken soll sich dies am Äquivalenzprinzip orientieren. Er nimmt als Berechnungsschlüssel den 18,6-fachen Wert der jährlich zu leistenden Zahlungen, wobei das Jahr 2020 zugrunde gelegt werden soll. Das ergäben insgesamt rund zehn Milliarden Euro. Rechtsexperten bei der Bundestagsanhörung plädierten hingegen eher für einen Korridor, um regionalen Unterschieden gerecht zu werden.
Die Ablösung muss aber nicht allein durch Geldleistungen erfolgen, heißt es schon im Gesetzentwurf. Denkbar wäre etwa die Übernahme bestimmter Aufgaben der Kirchen durch den Staat oder verzinslicher Wertpapiere. Wesentlich sind schließlich die Fristen. Der Entwurf sieht vor, dass die Länder nach Inkrafttreten des Grundsätzegesetzes binnen fünf Jahren eigene Gesetze erlassen sollen, um dann die Ablösung innerhalb von 20 Jahren abzuschließen.
Die Kunst des Gesetzgebers wird es sein, einerseits die nötige Flexibilität für regionale Gegebenheiten und Bedürfnisse von Ländern, Diözesen und Landeskirchen zu eröffnen, zugleich aber als ehrlicher Makler durch klare Rahmenbedingungen Fairness zu garantieren.
Christoph Scholz