Aufruf von Kirchen und Politik nach Berliner Anschlag

Solidarität und Besonnenheit

Nach dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt rufen Politik, Kirchen und Verbände zu Besonnenheit und Solidarität auf. Angesichts der Schreckensmeldungen appellierte die "Allianz für Weltoffenheit", tolerant zu bleiben.

"Berlin hält zusammen" / © Britta Pedersen (dpa)
"Berlin hält zusammen" / © Britta Pedersen ( dpa )

"Mehr denn je brauchen wir jetzt eine sachliche Debatte, getragen von den gemeinsamen Werten, die unser friedliches Zusammenleben erst ermöglichen", betonte das Bündnis, dem die beiden großen Kirchen, der Zentralrat der Juden, der Koordinierungsrat der Muslime, Arbeitgeber und Gewerkschaften sowie Sport- und Naturschutzverbände angehören.

Menschenwürde, Weltoffenheit, Respekt und Rechtsstaatlichkeit bildeten den demokratischen Kitt, der die Gesellschaft zusammenhalte. "Wir dürfen nicht zulassen, dass Angst, Intoleranz und Ausgrenzung die Oberhand gewinnen. Es gilt, das Vertrauen in die Stabilität und Handlungsfähigkeit unserer demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen zu stärken."

Erzbischof Koch kritisiert Hetze

Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) wandte sich gegen eine politische Instrumentalisierung des Anschlags. "Es ist jetzt die Zeit des Mitgefühls und des Zusammenhalts", sagte sie. Auch der Berliner katholische Erzbischof Heiner Koch kritisierte diejenigen, die den Anschlag zu Hetze gegen Politiker und Flüchtlinge missbrauchten. "Es verbietet sich, Leid zu instrumentalisieren." Man könne einzelne politische Schritte zwar für falsch oder nicht genügend halten. "Aber einem Menschen, Politikern oder den Flüchtlingen, insgesamt eine Schuld am Berliner Anschlag zu unterstellen, das ist unverschämt", sagte der Erzbischof.

Nordrhein-Westfalens AfD-Chef Marcus Pretzell hatte kurz nach Bekanntwerden des Attentats erklärt: "Es sind Merkels Tote."

"Gerade jetzt Weihnachten feiern"

Koch betonte, trotz der Gewalttat könnten Christen Weihnachten feiern. Weihnachten sei ein Ausdruck der Liebe, die man anderen Menschen schenke. "Es wäre völlig kontraproduktiv und dem Wunsch der Terroristen entsprechend, wenn wir diese Geste des Freudeschenkens und des Liebens nicht setzen würden." Genau dies wollten die Täter. "Gerade jetzt müssen wir Weihnachten feiern", erklärte der Berliner Erzbischof.

Der Bielefelder Konfliktforscher Anderas Zick mahnte gegenseitige Hilfe zur Bewältigung von Krisen an. Wer die Tat dagegen für parteipolitisches Profilierung ausnutze, "verletzt die Angehörigen der Opfer ein zweites Mal", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". Anschläge sollten stets Chaos erzeugen, warnte er. "Halten wir das Bild von der Unordnung aufrecht, dann ist das Wasser auf die Mühlen von Extremisten."

Bundespräsident Joachim Gauck besuchte unterdessen am Mittwoch mehrere Verletzte des Anschlags. Er übermittelte ihnen in der Berliner Charite die Anteilnahme der ganzen Nation. Die Opfer sollten spüren, dass sie nicht allein seien, sagte er nach dem Besuch. Gauck dankte auch den Ärzten und Pflegekräften für ihren Einsatz.

Fahndung nach Verdächtigem

Derweil fahndet die Polizei bundes- und europaweit nach einem Verdächtigen, der als islamistischer Gefährder bekannt ist. Den Behörden ist der möglicherweise bewaffnete Mann als abgelehnter, aber geduldeter Asylbewerber Anis A. aus Tunesien bekannt, wie es am Mittwoch in Sicherheitskreisen hieß. Er nutzte aber mehrere Identitäten.

Nach Medienberichten wurden Duldungspapiere im dem Laster gefunden, der am Montagabend auf den zentralen Weihnachtsmarkt im Westteil der Stadt gerast war. Bei der Tat waren zwölf Menschen ums Leben gekommen und rund 50 teils lebensbedrohlich verletzt worden. Ein zunächst festgenommener Pakistaner wurde wieder freigelassen.

Die Dokumente des nun Verdächtigten sollen im Kreis Kleve in Nordrhein-Westfalen ausgestellt worden sein. Laut "Spiegel Online" war er in einer Asylunterkunft in Emmerich gemeldet, laut "Süddeutscher Zeitung" ("SZ"), NDR und WDR aber seit Dezember abgetaucht. Nach dpa-Informationen hat er sich wechselweise in Nordrhein-Westfalen und Berlin aufgehalten. Sicherheitskreise gingen am Mittwochnachmittag von "unmittelbar bevorstehenden Maßnahmen" der Behörden in Nordrhein-Westfalen aus.

Der Tatverdächtige im Zusammenhang mit dem Anschlag in Berlin wurde im Juni 2016 als Asylbewerber abgelehnt. Der Mann habe aber nicht abgeschoben werden können, weil er keine gültigen Ausweispapiere bei sich hatte, sagte NRW-Innenminister Ralf Jäger (SPD). Tunesien habe bestritten, dass es sich bei dem Mann um einen Tunesier handele.

Vernetzung mit Islamistenszene

Der Verdächtigte soll in der Islamistenszene vernetzt sein und nach Medienberichten den Sicherheitsbehörden seit Februar bekannt sein. Das Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) von Bund und Ländern hat sich im November mit ihm befasst, wie Jäger sagte. Gegen ihn werde nun wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat ermittelt.

Der Mann habe Kontakte zum Netzwerk des kürzlich verhafteten Salafisten-Predigers Abu Walaa unterhalten und sei von der Polizei abgehört worden, berichteten "SZ", NDR und WDR. Nach Informationen der Mainzer "Allgemeinen Zeitung" und von "Spiegel Online" ist er zwischen 21 und 23 Jahre alt. Er sei der Polizei wegen Körperverletzung bekannt, schreibt "Bild.de".

"Spiegel Online" berichtete, in Berlin sei er als Ahmad Z. oder Mohamed H. aus Ägypten erfasst gewesen. Er habe teils auch angegeben, aus dem Libanon zu stammen. Am 30. Juli soll er mit Beschluss des Amtsgerichts Ravensburg in Abschiebehaft genommen worden sein. Unklar ist, wie ihn die Sicherheitsbehörden aus dem Blick verloren haben.

Offene Fragen zum Tathergang

Zum Tathergang gibt es nach wie vor viele offene Fragen. Der polnische Lkw-Fahrer, der auf dem Beifahrersitz saß, hat laut "Bild"-Zeitung bis zum Attentat noch gelebt. Das habe die Obduktion ergeben, berichtete die Zeitung. Ein Ermittler habe von einem Kampf gesprochen. Nach dem Anschlag wurde der Pole tot im Lkw gefunden. Nach dpa-Informationen wurde er mit einer kleinkalibrigen Waffe erschossen, von der bislang jede Spur fehlt.

Unklar war zudem, ob die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) hinter dem Anschlag steht. Sie hatte den Angriff für sich reklamiert. Der IS hatte sich in der Vergangenheit immer wieder über sein Sprachrohr Amak zu Anschlägen in unterschiedlichen Ländern bekannt. Täterwissen gab der IS - wie schon in früheren Fällen - nicht bekannt.


Quelle:
KNA , dpa