Spitzenvertreter von evangelischer Kirche und Zentralrat der Juden in Deutschland haben zu einem entschiedeneren Eintreten gegen Antisemitismus aufgerufen. Nicht erst seit dem Anschlag von Halle müsse allen bewusst sein, wie real die Bedrohung für Juden sei, sagte der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Rekowski, am Montag vor der rheinischen Landessynode in Bad Neuenahr. Zentralrats-Vizepräsident Abraham Lehrer warnte vor einem wachsenden "Israel-bezogenen Antisemitismus", der auch in kirchlichen Gruppen vorkomme.
Rekowski sprach in seinem Jahresbericht vor dem Kirchenparlament von einem tief verwurzelten Antisemitismus und fügte hinzu: "Als Kirche sind wir uns der Verantwortung bewusst, die sich für uns im Kampf gegen jede Form von Antisemitismus ergibt." Vor genau 40 Jahren habe die rheinische Synode ihren bundesweit wegweisenden Beschluss "Zur Erneuerung des Verhältnisses von Christen und Juden gefasst", der nun weiterentwickelt werden solle. Damals habe sich zum ersten Mal eine Synode der kirchlichen Schuld im Verhältnis zu den Juden gestellt.
"Hohe Sensibilität und Solidarität"
Zentrats-Vize Lehrer würdigte den Beschluss und die Haltung der rheinischen Kirche zu den Juden und äußerte Verständnis für Kritik an der israelischen Politik. Wer den jüdischen Staat an den Pranger stelle, müsse sich aber bewusst sein: "Selbst wenn dieses Reden nicht antisemitisch gemeint ist, stärkt es Antisemiten den Rücken." Gerade von Menschen, die sich im Namen der Kirche äußern, erwarte die jüdische Gemeinschaft eine hohe Sensibilität und Solidarität.
Vehement verteidigte Rekowski das geplante Seenotrettungsschiff des Bündnisses "United 4 Rescue", an dem sich die evangelische Kirche beteiligt, gegen innerkirchliche Kritik. Man könne über die konkrete Ausgestaltung von humanitärer Flüchtlingspolitik kontrovers diskutieren, "aber man lässt keinen Menschen ertrinken", sagte er unter großem Applaus der Synode.
"Kirche muss kontruktive Diskurse führen"
Entsetzt zeigte sich Rekowksi über populistische Stammtischparolen, Ausgrenzung, Hass und die Dämonisierung von Minderheiten. Die Christen müssten gegen Populismus und gesellschaftliche Spaltung aufstehen und gemeinsam mit anderen zivilgesellschaftlichen Gruppen "auf dem Wert der Wahrheit bestehen, konstruktive Diskurse auch um schwierige Themen führen und so unsere freiheitlich-demokratische Rechtsordnung verteidigen".
Angesichts gravierender Folgen des Klimawandels dringt der 61-jährige Theologe auf schnelles Umdenken und konsequentes Handeln. "Die Zeit der folgenlosen Deklarationen und Absichtserklärungen muss endgültig vorbei sein", sagte er vor dem Kirchenparlament von knapp 2,5 Millionen Protestanten. "Gefragt sind konkrete Taten." Das Klimapaket der Bundesregierung könne nur ein erster Schritt sein.
Organspende: Zustimmungslösung beste Option
Vor der Bundestags-Entscheidung über eine Neuregelung der Organspende sprach sich der leitende Theologe der zweitgrößten Landeskirche in Deutschland für die Beibehaltung der bisherigen Regelung aus. "Die beste Option scheint immer noch die bestehende Zustimmungslösung zu sein, dass Menschen sich selbst entscheiden und im positiven Fall die Bereitschaft zur Organspende zweifelsfrei dokumentieren", sagte er.
Mit Blick auf soziale Fragen warb Rekowski erneut für eine Kindergrundsicherung. Jeder fünfte Deutsche unter 18 Jahren lebe unterhalb der relativen Armutsgrenze. Die Kirche sieht der rheinische Präses vor der dauerhaften Herausforderung, "die zu groß gewordenen Strukturen an die kleiner werdenden Zahlen sowie die Ausgaben an die veränderte Einnahmesituation anzupassen". Verstärkte Veränderungsbereitschaft sei angesagt.
Im nicht immer spannungsfreien Verhältnis von Kirche und Diakonie - das Hauptthema der fünftägigen Landessynode - müssten beide Seite das Verbindende suchen: Sowohl das "Wortzeugnis der Gemeinde" als auch das "Tatzeugnis der Diakonie" seien Wesens- und Lebensäußerung des Evangeliums, sagte Rekowski.