Augenzeugen berichten über die dramatische Lage in Sri Lanka - Appell der Deutschen Bischofskonferenz

"Die größte Tragödie war das Feuer der Armee"

Auch zwei Wochen nach Ende des Bürgerkriegs in Sri Lanka bezeichnen Helfer die Lage der rund 286.000 Menschen in den Flüchtlingslagern weiter als kritisch. "Ein Drama" nennt der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation die Lage der Menschen. Und damit dürfte das, was sich dort immer noch abspielt, milde umschrieben sein. Nun hat sich auch die Bischofskonferenz zu Wort gemeldet.

Autor/in:
Christian Wölfel
 (DR)

Der Vorsitzende der Migrationskommission der Deutschen Bischofskonferenz, Weihbischof Josef Voß, hat die Regierung Sri Lankas aufgefordert, Hilfsorganisationen nach dem Ende des Konflikts gegen die Tamilen den uneingeschränkten Zugang zu Flüchtlingslagern zu ermöglichen. Daneben müsse eine freie Berichterstattung gewährleistet werden, schreibt der münsterische Weihbischof in einem am Dienstag in Münster veröffentlichten Brief an die im Bistum lebenden Tamilen. Eine freie Presse schaffe Vertrauen und sichere die Wahrung der Menschenrechte. Gleichzeitig forderte Voß die Vereinten Nationen auf, "den Hergang der Kampfhandlungen zu untersuchen und Menschenrechtsverletzungen beider Parteien zu ahnden".

Der Bürgerkrieg sei "eine Tragödie für das ganze Land, vor allem aber für das tamilische Volk" gewesen, so Voß. "Zu viele unschuldige Zivilisten vor allem im Gebiet der Tamilen haben in den letzten Monaten den Tod gefunden, ihre Heimat verloren oder sind für den Rest ihres Lebens gezeichnet und traumatisiert". Beide kriegführenden Parteien hätten Chancen für einen Frieden verpasst und sich der Verletzung von Menschenrechten schuldig gemacht.

Nach Worten Voß' ist der Vorwurf der Regierung Sri Lankas, die Tamilen strebten nach einem unabhängigen Staat, "einseitig und wird den wahren Ursachen des Konfliktes nicht gerecht". Tatsache sei, dass die Tamilen schon vor Jahren aus ihrer Heimat geflohen seien, weil ihnen "fundamentale Rechte vorenthalten wurden und sie für sich keine Zukunft sahen", schreibt der Weihbischof. Die Geschichte des Konflikt lasse jetzt den Weg zu einem dauerhaften Frieden schwierig erscheinen. "Ein Ende der Kämpfe bedeutet jedenfalls noch keineswegs den Beginn von Versöhnung und Frieden", warnte Voß.

Ein Drama
"Ein Drama" nennt der Mitarbeiter einer Hilfsorganisation die Lage der Menschen. Und damit dürfte das, was sich dort immer noch abspielt, milde umschrieben sein. Zum eigenen Schutz will der Mann seinen Namen nicht öffentlich nennen. Bis kurz vor Ende des Bürgerkriegs war er in jenem wenige Quadratkilometer großen Küstenstreifen, in dem mehr als 300.000 Menschen zwischen die Fronten gerieten. Er klagt beide Seiten an, sowohl die Rebellen der tamilischen Befreiungstiger als auch die Armee.

Als menschliche Schutzschilde seien die unschuldigen Zivilisten von Freischärlern wie von Soldaten missbraucht worden, berichtet der Augenzeuge - eine Flucht aus dem umkämpften Gebiet war so gut wie unmöglich. "Auf dem Landweg sind die Flüchtlinge von einer der beiden Seiten unter Beschuss genommen worden oder ins Kreuzfeuer geraten." Fischer, die mit ihren Booten über den Indischen Ozean der verzweifelten Lage entkommen wollten, seien von den Rebellen auf dem offenen Meer getötet worden.

Streubomben: Jeder hat es gesehen und vor allem gehört
Die Soldaten hätten Streubomben eingesetzt. "Sie können jedes Kind, das reden kann, fragen: Jeder hat es gesehen und vor allem gehört." Der Mann gibt das Geräusch der gefürchteten Sprengkörper wieder. Auch Chemiewaffen seien zum Einsatz gekommen, konkret Phosphorbomben. "Die größte Tragödie war das Feuer der Armee."

Ähnliche Berichte kommen auch vom Jesuitenflüchtlingsdienst (JRS) in Rom. In selbstgegrabenen Bunkern hätten die Zivilisten auf dem engen Küstenstreifen versucht, sich möglichst gut zu schützen, berichtet der internationale Direktor Peter Balleis. Auch wenn die Regierung dies bestreitet, sollen in den letzten Tagen des Bürgerkriegs mehr als 20.000 Zivilisten durch den Beschuss der Armee getötet worden sein, der örtliche Helfer berichtet gar von 25.000 bis 30.000 allein vom 15. bis 18. Mai.

Sorge bereitet ihm vor allem die Situation nach dem Ende der Kämpfe. Zwar gebe es sogenannte Wohlfahrtsdörfer für Flüchtlinge, die aber eher wie Militärlager wirkten. Viel schlimmer dagegen seien jene Camps für Menschen, die im Verdacht stünden, Kämpfer der tamilischen Rebellen zu sein. Darunter seien auch zwangsrekrutierte Kinder aus jeder Familie. Mindestens ein Sohn oder eine Tochter sei für den Krieg verpflichtet worden, berichtet der Mann.

Was mit ihnen passiert, sei völlig unklar. Keine internationale Organisation habe bisher Zugang bekommen, auch die des Helfers nicht. Deshalb könne er nur vermuten, was den Menschen dort bevorstehe und erzählt aus der Vergangenheit: Vor Jahren schon habe die Armee eine kleine Gruppe von gefangen genommenen Rebellen in den Ort Bindunuwewa nahe der Stadt Bandarawela im Süden Sri Lankas gebracht. Dort seien sie von der örtlichen Polizei und aufgehetzten Bewohnern erschlagen worden.

Langfristig angelegte Internierung
Doch auch die Situation in den Wohlfahrtsdörfern verheißt für den Jesuiten Balleis nichts Gutes: Sie seien so angelegt, dass ihre Bewohner mehrere Jahre dort leben sollten. Die offizielle Begründung sei, ihre angestammten Wohngebiete müssten erst von Landminen geräumt werden. "Ich glaube jedoch, dass diese langfristig angelegte Internierung der tamilischen Zivilbevölkerung dazu dienen soll, in der Zwischenzeit in ihren Heimatgebieten Singhalesen anzusiedeln", vermutet Balleis. Eine Veränderung der Bevölkerungslandschaft aus politischen Gründen also.

Deshalb stecke der JRS in einem "Dilemma", wenn er nun in den Lagern beim Aufbau von Kindergärten und Schulen helfe, nicht aber den Unterricht gestalten dürfe. Trotzdem werde man weiter Unterstützung leisten. "Das ist unser Mandat, die Menschen zu begleiten, egal in welcher Situation sie gerade sind", sagt Balleis. Der Mitarbeiter der Hilfsorganisation drängt darauf, dass die Regierung nun so etwas wie Gerechtigkeit zwischen den Volksgruppen schaffen müsse. Denn eines sei trotz Ende des Krieges klar: "Die militante Tiger-Flagge wird jetzt zumindest eine politische Tiger-Flagge."