Neue Berliner Gedenkstätte für Opfer der Nationalsozialisten

Aus der Anonymität geholt

An Gedenkstätten für die Opfer der Nationalsozialisten herrscht in Berlin kein Mangel. Ein neuer Erinnerungsort am Rande der Hauptstadt sticht aber durch eine breite gesellschaftliche Beteiligung hervor. Nun wurde der Gedenkort eingeweiht.

Autor/in:
Gregor Krumpholz
Eingangstor des ehemaligen Konzentrationslagers in der Gedenkstätte Sachsenhausen / © Paul Zinken (dpa)
Eingangstor des ehemaligen Konzentrationslagers in der Gedenkstätte Sachsenhausen / © Paul Zinken ( dpa )

"Marian Adamczyk 4.1.1922 - 11.12.1940" hebt es sich hell auf einer dunkelgrünen Glaswand ab. Es ist eine von rund 1.370 Inschriften, die auf dem Städtischen Friedhof Altglienicke in Treptow-Köpenick nun an dort bestattete Opfer der Nationalsozialisten erinnern. Am Montag wurde die neue Gedenkstätte feierlich mit einem Interreligiösen Ritus eingeweiht.

Berlins katholischer Bischof Heiner Koch sagte: "Verbrennung oder anonyme Massengräber sollten ein Gedächtnis an die Ermordeten auslöschen. Lange Zeit waren ihre Namen auch für uns in Vergessenheit versunken. Nun haben viele von Ihnen wieder eine Identität." Der Berliner Rabbiner Andreas Nachama erklärte: "Wir trauern um den Geist und den Humor, der ermordet wurde, um das Lernen und Lachen, das für immer verloren ist."

Massengrab für KZ-Häftlinge und "Euthanasie"-Opfer

In der Hauptstadt ist es der jüngste unter den vielen Gedenkorten für die Verbrechen des NS-Regimes. Er befindet sich bei einem Massengrab von Menschen vieler Nationalitäten und Glaubensrichtungen, deren sterblichen Überreste ab 1940 unter anderem im Treptower Krematorium eingeäschert wurden. Sie stammten von Häftlingen aus den Konzentrationslagern Buchenwald, Dachau und Sachsenhausen, zudem waren es "Euthanasie"-Opfer aus den Tötungsanstalten Bernburg, Brandenburg, Grafeneck, Hadamar, Hartheim und Pirna-Sonnenstein sowie Regimegegner, die in Berlin-Plötzensee hingerichtet wurden.

Knapp zwei Drittel von ihnen waren Deutsche und ein Drittel Polen, weitere aus der damaligen Sowjetunion und Tschechoslowakei. Es waren Juden sowie Sinti und Roma, Zwangsarbeiter und behinderte Menschen.

Bei den deutschen Opfern waren die Urnen von Verwandten nicht angefordert worden, oder es gab keine Angehörigen. Urnen ausländischer Opfer durften auf Anordnung der NS-Behörden nicht in ihr Heimatland überstellt werden.

Lange Zeit war der Friedhof eine Randerscheinung

Nach Kriegsende fristete das Grabfeld im Südosten der Stadt buchstäblich eine Randexistenz, nur eine Gedenkstein aus DDR-Zeiten erinnerte pauschal an die dort ruhenden "Antifaschisten". Das sollte sich erst mit dem pensionierten Eisenbahn-Ingenieur Klaus Leutner ändern. Im Jahr 2004 entdeckte er die fast vergessene Grabstätte und machte sich gemeinsam mit Pawel Wozniak von der polnischsprachigen katholischen Kirchengemeinde in Berlin für eine würdigeres Gedenken stark. So erinnerte bereits vor fünf Jahren eine Feier an die 18 polnischen Priester, die nach ihrem Tod im KZ Sachsenhausen auf dem Friedhof beigesetzt wurden.

Doch auch die anderen Opfer sollten soweit möglich nicht mehr anonym bleiben. Ende 2018 lobten die Senatsverwaltungen für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz sowie für Stadtentwicklung und Wohnen einen Wettbewerb zur Neugestaltung aus, den die Künstlerin Katharina Struber und der Architekt Klaus Gruber (beide Wien) gewannen. Von ihnen stammt das Konzept der grünen, L-förmigen Glaswand, die bei der nun bepflanzten Grabstätte steht. Zudem ist auf einem Streifen aus Baubronze um das Grabfeld auf Polnisch, Deutsch und Englisch zu lesen, wo die Bestatteten ermordet wurden.

Breite gesellschaftliche Beteiligung

Noch ungewöhnlicher ist die breite gesellschaftliche Beteiligung an der Ausführung des Projekts. Allein am 27. Januar 2020, dem Holocaust-Gedenktag, kamen 895 Menschen ins Rathaus Köpenick, um die Lebensdaten jeweils eines Toten per Hand aufzuschreiben und ihn damit ganz persönlich in Erinnerung zu rufen. Bei der Aktion war dies auch für alle anderen Opfer der Fall. Auf technischem Wege wurden diese Aufzeichnungen dann in Reih' und Glied auf die Glaswand übertragen.

Bei einem einmaligen Festakt soll es aber nicht bleiben, wie Pfarrer Lutz Nehk mit Blick auf die Einweihung betonte. Der Beauftragte für Erinnerungskultur und Gedenkstättenarbeit im Erzbistum Berlin tritt dafür ein, dass die Kirchen den Ort auf Dauer in ihr Gemeindeleben und ihre Gedenkkultur für die NS-Opfer einbeziehen.


Quelle:
KNA
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