Löw-Team demonstriert mit Kniefall gegen Rassismus

"Ausgesprochen couragiert"

Die deutsche Fußball-Nationalmannschaft will sich am Dienstagabend vor dem Achtelfinale am Kniefall-Protest der Engländer beteiligen. Eine Geste, die schon viele ausübten, von Heinrich IV. über Willy Brand bis Colin Kaepernick.

Autor/in:
Christoph Arens
Joachim Löw / © Efrem Lukatsky/AP (dpa)
Joachim Löw / © Efrem Lukatsky/AP ( dpa )

Die "Three Lions" gehen vor jeder Partie auf die Knie, um gegen Rassismus und Intoleranz zu protestieren. Ganz ohne Worte. Die Geste ist Jahrtausende alt - kann aber sehr unterschiedliche Dinge bedeuten, denn jede Gesellschaft hat ihre eigene Zeichensprache.

In Antike und Mittelalter beispielsweise war der Kniefall eine Geste der Unterwerfung gegenüber einer überlegenen Person. Münzen, Schalen oder Denkmäler zeigen, wie Sklaven und Gefangene sich vor ihren Herren in den Staub werfen.

Als sich der deutsche König Heinrich IV. 1077 in Canossa im Büßergewand vor Papst Gregor VII. niederwarf, war das ein Kniefall, der das Abendland erschütterte. Seit einer Rede, die Reichskanzler Otto von Bismarck 1872 vor dem Reichstag hielt, ist der "Canossagang" ein geflügeltes Wort für Erniedrigung und Unterwerfung.

Johannes XXIII schaffte den Kniefall bei Audienzen ab

Im Hofknicks vor der Queen hat sich diese Unterwerfungsgeste in sehr reduzierter Form erhalten. Für die Päpste hat Johannes XXIII. (1958-1963) den Kniefall bei Audienzen abgeschafft. Vielfach ist das Niederknien Ausdruck der religiösen Verehrung, aber auch eine Meditationshaltung.

Griechen und Römer lehnten es ab, vor ihren Göttern niederzuknien: Das war eines freien Bürgers unwürdig. Gläubige Juden beten eher im Stehen. Dennoch heißt es in den Psalmen des Alten Testaments: "Kommt, lasst uns niederfallen, uns vor ihm verneigen, lasst uns niederknien vor dem Herrn, unserm Schöpfer!"

 Im christlichen Neuen Testament kommt der Begriff "knien" 59 Mal vor. Meist geht es darum, Gott oder Jesus Ehre zu erweisen. "Die Jünger im Boot aber fielen vor Jesus nieder und sagten: Wahrhaftig, du bist Gottes Sohn", heißt es im Matthäus-Evangelium.

"Kultur der Gestik"

Auch Jesus selbst warf sich am Ölberg in der Nacht vor seinem Leiden auf die Erde nieder. Insbesondere im Mittelalter waren Gestik und Symbolik als Mittel der Verständigung unentbehrlich - daher hat der Historiker Jacques Le Goff von einer "Kultur der Gestik" gesprochen.

Doch auch in der modernen Welt spielt symbolisches Handeln noch eine wichtige Rolle. Als Geste der Demut und Entschuldigung wurde der wohl berühmteste Kniefall der neueren Geschichte interpretiert. "Am Abgrund der deutschen Geschichte und unter der Last der Millionen Ermordeten tat ich, was Menschen tun, wenn die Sprache versagt": So erklärte Bundeskanzler Willy Brandt seinen Kniefall am Ehrenmal für die Toten des Warschauer Ghettos am 7. Dezember 1970.

Auch die Päpste kennen den Kniefall nicht nur als religiöse Geste. Wenn Johannes Paul II. (1978-2005) ein Land zum ersten Mal betrat, bekundete er durch seinen Kniefall und das Küssen des Bodens seine Ehrerbietung.

Protest gegen die Unterdrückung der Schwarzen

Papst Franziskus fiel im April 2019 im Vatikan vor den politischen Kontrahenten des Südsudan auf die Knie und küsste ihre Füße, um um Frieden zu bitten. Besondere Bedeutung hat der Kniefall zuletzt bei Anti-Rassismus-Demonstrationen in den USA bekommen.

Immer wieder knieten sich Polizisten vor Demonstranten hin, um Gewaltverzicht und Solidarität zu bekunden. Im American Football hatte Quarterback Colin Kaepernick bereits 2016 eine Protestwelle gegen Unterdrückung von Schwarzen und gegen Polizeigewalt in den USA gestartet. Der Sportler war während der Nationalhymne aufs Knie gegangen.

Republikanische Politiker und deren Anhänger sahen darin eine Respektlosigkeit gegenüber den Werten der Nation. Auch in Deutschland gibt es bisweilen Bedenken gegenüber einer vermeintlichen Politisierung des Sports.

Eintreten für universelle Rechte

Der Leiter der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, Bernd Franke, stellte sich allerdings hinter Fußballer, die bei der EM niederknien. "Wenn Fußballer gegen Rassismus und Diskriminierung durch symbolische Gesten auf dem Spielfeld Stellung beziehen, dann ist das ausgesprochen couragiert", sagte er dem Portal Watson.

"Sie treten damit für universelle Grundwerte und Menschenrechte ein und können damit auch eine große Breitenwirkung erzielen, weil ihnen eine hohe Vorbild- und Identifikationsfunktion bei vielen Fans zukommt."


Geste, die Geschichte schrieb: Der Kniefall Willy Brandts in Warschau (KNA)
Geste, die Geschichte schrieb: Der Kniefall Willy Brandts in Warschau / ( KNA )

Heinrich IV. Gang nach Canossa / © Gemeinfrei
Heinrich IV. Gang nach Canossa / © Gemeinfrei
Quelle:
KNA