Welche Haltung hatte der Apostel Paulus zu Frauen? Auch mit dieser Frage setzt sich jetzt eine Ausstellung in der Münchner Kirche Sankt Paul auseinander. Das mit Paulus in Verbindung stehende Diktum "Die Frau hat in der Kirche zu schweigen" hat nicht nur fast 2.000 Jahre das Verhältnis der katholischen Kirche zu den Frauen geprägt.
Es gilt in gleicher Weise für den Bereich der bildenden Kunst, in dem die künstlerischen Entfaltungsmöglichkeiten von Frauen ebenfalls jahrhundertelang stark eingeschränkt waren. Genau an diesem Punkt setzt die Schau "Und wir sollten schweigen?" an.
Im Dialog mit Form und Inhalt des Kirchenraums
Die vom Fachbereich Kunstpastoral der Erzdiözese München und Freising initiierte Präsentation - die die Kuratoren mehr als eine Interaktion verstanden wissen wollen - gibt der Stimme von Frauen Raum, die in ihrer künstlerischen Arbeit die Lebenserfahrungen von heute reflektieren und in einen Dialog mit Form und Inhalt des Kirchenraums treten. Für das Projekt wurden sechs renommierte und international tätige Künstlerinnen gewonnen, die sich in ihren dafür neu gefertigten Werken auf sehr unterschiedliche Weise mit dem Thema und dem Ort auseinandersetzen.
Auf die neogotische Architektur der Kirche reagiert Nina Annabelle Märkel: Sie platziert an den Wänden zwischen den Kreuzwegstationen Stahlgestänge, die die Ornamentstrukturen des Maßwerks darüber aufgreifen und abstrahierend nachzeichnen.
Geometrisierte Selbstporträts auf sehr dünnem Seidenpapier im Großformat hat Sarah Lehnerer in luftiger Höhe an die Decke der Seitenschiffe gehängt. Bei diesem aufwendigen künstlerischen Verfahren geht es ihr weniger um die Produktion von Kunst als vielmehr um das Thema "Reproduktion".
Das Gehört-Werden von Frauen ist besonderes Thema
Nur am Rande mit dem Thema und dem Ort zu tun hat die skulpturale Rauminstallation von Lorena Herrera Rashid. Aus Plastiktüten hat sie bunte Blumen geformt, die an langen Eisenstangen aus einem Maschendrahtzaun herauswachsen. Dessen Haltepfosten stecken in mit Erde und Steinen gefüllten alten Autoreifen.
Am meisten fallen im Kirchenraum die lackierten Keramik-Tomaten auf, die wie auf die Säulen und die Kanzel hingeklatscht wirken. Mit dieser Arbeit erinnert die Künstlerin Susanne Wagner an einen realen Vorfall in Frankfurt Ende der 1960er-Jahre. Als die Filmemacherin Helma Sanders an der Universität eine flammende Rede für die Gleichberechtigung der Frauen hielt, hörte ihr kaum einer der männlichen Studenten zu. Um deren sich laut unterhaltende Anführer zum Schweigen zu bringen, warf eine Zuhörerin Tomaten aus ihrer Einkaufstüte - und traf auch.
Das Gehört-Werden von Frauen ist hier also das Thema - und darum geht es auch in der Filminstallation "8 Voices" von Birthe Blauth. Mit vier Monitoren besetzt sie die letzte Bank auf der "Frauenseite" links (die man lange im Vergleich zur rechten "Männerseite" als minderwertig angesehen hatte). In ihrem Studio hat sie acht Frauen unterschiedlichen Alters und Aussehens und verschiedener Herkunft und Religion vor der Kamera darüber reden lassen, was ihnen gerade wichtig erschien. Der Betrachter sieht sie zwar sprechen, aber er hört sie nicht. Das schafft er nur, wenn er selber aktiv wird, sich den entsprechenden Link notiert und später an einem Computer aufruft.
Ist eine Beicht-Maschine die Zukunft?
Die pointierteste Arbeit in Sankt Paul ist der Künstlerin Patricija Gilyte gelungen. Bei ihrer Installation "Gewissen_Inside" glotzt aus einem realen Beichtstuhl ein Robotermännchen heraus und wartet darauf, dass der Besucher - wie zum Beichten - an die Seite herantritt, um dann seinen Kopf in dessen Richtung zu bewegen. Das leere Tablet auf seiner Brust spielt dabei auf das "reine, leere Gewissen" an, das der Gläubige nach der Beichte zurückerhalten soll.
Ist das die Zukunft der Kirche, in der der technische Fortschritt Einzug gehalten hat und wo eine "Beicht-Maschine" den echten Menschen ersetzt? Mit dem "weiblichen Blick" sind jedenfalls neue Sichtweisen entstanden, deren bildnerische Umsetzungen für die Gesellschaft und damit auch für die Kirche von großer Bedeutung sind.
Von Karl Honorat Prestele