DOMRADIO.DE: Eine Kirche als Fitnessstudio oder als Boxring? Das wäre ja ein völlig neuer Ansatz?
Benita Meißner (Geschäftsführerin und Kuratorin / Kunstraum Diskurs Gegenwart / Deutsche Gesellschaft für christliche Kunst e.V.): Ja, das wäre ein völlig neuer Ansatz. Aber ich glaube, man muss sofort dazu sagen, dass das keine Lösung ist, die man sich für alle Kirchenhäuser wünschen sollte. In der Ausstellung werden ganz spezielle Lösungen für einzelne Gemeinden und Kirchen vorgeschlagen. Und wir im süddeutschen Raum sind ja noch in einer sehr komfortablen Situation, dass die Landeskirchen und Bistümer nicht intensiv über den Verkauf von Kirchengebäuden oder sogar den Abriss wie im Bistum Essen nachdenken.
Aber trotzdem wissen wir, dass es in der Zukunft wahrscheinlich schwierig sein wird, alle Kirchengebäude zu halten. Und die vier Beispiele, die wir präsentieren, die haben wir initiiert. Da sind Duos aus Kunstschaffenden und Architekt:innen an vier Orte geschickt worden. Sie haben gemeinsam mit den Gemeinden und Pfarrern vor Ort vier unterschiedliche Lösungsvorschläge entwickelt. In Ulm liegt die Wengenkirche in Citynähe und hat keine "normale" Gemeinde mehr. Da wurde die Idee entwickelt auf einem Passivlaufband, das keine Energie benötigt, sondern Energie erzeugen kann, Pilgerwege anzubieten. Der Boxring ist tatsächlich für den Gemeindesaal vorgesehen und nicht für die Kirche. Ich glaube, so weit kann sich keiner im Moment aus dem Fenster lehnen, weil der Ansatz ja war, dass die Kirchen Kirche bleiben dürfen, dass die Liturgie ihren Ort hat, aber dass daneben zu gewissen Zeiten natürlich auch anderes stattfinden kann mit der Idee, Kirchenräume zu öffnen.
DOMRADIO.DE: Wir reden hier von einer Ausstellung der Deutschen Gesellschaft für christliche Kunst. Sie haben es schon gesagt: Das sind Ideen von verschiedenen Künstlerinnen und Künstlern. Vier Modellkirchen wurden ausgewählt. Welche Ideen und Entwürfe gibt es da noch, Kirchen anders zu nutzen?
Meißner: Neben der Lösung für die Kirche in Ulm gibt es zum Beispiel für die Evangelische Laetare-Kirche in München-Neuperlach eine Idee, so eine Art Leuchtturm im Außenraum aufzustellen. Diese Kirche hat nie einen Kirchturm bekommen. Da haben sich die Anwohner dagegen verwehrt, es ist eine Kirche der 1960er Jahre. Die Gemeinde macht unglaublich viel, die Tafel ist dort am Wochenende zuhause, es gibt ein Winterkino. Es gibt verschiedene musikalische Aktivitäten, natürlich einen Chor, ein breites Angebot. Im Sommer gab es eine Fahrrad-Reparaturwerkstatt und die Anwohner um die Kirche herum bekommen das irgendwie alles nicht mit. Es sind sowieso nur noch sechs Prozent Protestanten in Neuperlach. Und die Kirche muss eben wirklich um Aufmerksamkeit kämpfen. Da haben Jutta Görlich und Peter Heimal eine wunderbare Idee entwickelt. Auf einem Las Vegas ähnlichen Leuchtschild steht "Welcome to fabulous Laetare". Das Liturgie-Angebot ist in Form von Symbolen auf diesem Turm ablesbar und das zusätzliche Angebot wie Kino etc. auch. Und ich glaube, wenn man da vorbeigeht, dann sagt man schon: Oh, was passiert hier?
DOMRADIO.DE: Die Kirche steckt in der Krise. Sie haben kürzlich in einem Interview gesagt, sie ist ein Notfallpatient. Könnte die Kirche mit dem, was diese Ausstellung jetzt zeigt, auf dem Weg der Besserung sein?
Meißner: Ich glaube, dass die Krankheit zu komplex ist, als dass eine Ausstellung wirklich die Situation verbessern kann. Aber es ist ein Versuch.
Wir sagen, Künstlerinnen denken Kirche neu. Also, ich gehe davon aus, dass das kreative, schöpferische Potenzial, auch etwas mit unserem Schöpfer zu tun hat. Also verbinden sich da Kräfte ganz wunderbar. Wir versuchen eben, über den Tellerrand zu blicken. Die Ausstellung präsentiert ja auch 14 bereits transformierte Kirchenräume. Da geht es von profanierten Beispielen bis zu Verkleinerungen des Gottesdienst-Raumes durch die Integration von Räumen für die Gemeinde. Ich glaube, alle 14 Beispiele zeigen, am Ende können die Räume weiterhin genutzt werden.
Und zwei Beispiele in der Ausstellung, die tatsächlich profaniert worden sind, standen vor dem Abriss. Es gibt ein wunderbares Beispiel in Mannheim: Das ist ein Tanzhaus. Die Kirche ist profaniert. Aber der Altar, der Ambo, all das ist noch vorhanden. Das ist überbaut worden. Die Kirchenbänke wurden zur Tribüne. Und ich sage immer, wenn 2200, die Gemeinde drumherum sagt, dass sie jetzt wieder diese Kirche brauchen, dann ist es ein einfaches, die Kirche wieder zum Leben zu erwecken. Ich glaube, schlimm wäre es, wenn wir uns von liebgewonnenen Gebäuden verabschieden müssten.
DOMRADIO.DE: Sie haben jetzt auch alle vier Modellkirchen besucht. Wenn Sie da vor Ort sind, gibt es da auch Bedenken der Menschen, die dann sagen: Was passiert hier gerade?
Meißner: Bedenken gibt es natürlich immer, weil viele Menschen Angst vor Veränderung haben. Aber wir waren vor Ort und haben Gespräche aufgezeichnet mit Mitgliedern der Gemeinde. Da hat ein Herr in Neuperlach ganz wunderbar gesagt: Er liebt seine Kirche, er liebt seine Gemeinde. Aber er sieht auch, dass es ohne diese Veränderung keine Zukunft gibt. Und ich glaube, dass das irgendwo ankommen muss in den Köpfen der Menschen, dass wir noch im Rahmen des Möglichen flexibel sind und eben Probleme auch kreativ angehen.
Das Interview führte Carsten Döpp.