DOMRADIO.DE: Autobahnkirchen seien "Auffangstationen für aus der Kirche ausgetretene Christinnen und Christen", sagte Georg Hofmeister, Geschäftsführer der Versicherer im Raum der Kirchen, bei der Bundeskonferenz der Autobahnkirchen in Geiselwind. Wie erleben Sie denn das Bedürfnis nach Spiritualität der Besucherinnen und Besucher Ihrer Autobahnkirche?
Manuela Strohofer (Betreiberin der ersten privaten ökumenischen Autobahnkirche Deutschlands "Licht auf unserem Weg" am Autohof Strohofer in Geiselwind): Wir Autobahnkirchen sind tatsächlich eine Art Auffanglager für alle von der Kirche verletzten Menschen, die sich ausgegrenzt fühlen. Oder auch für Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, weil sie mit jedem Euro rechnen müssen, um über die Runden zu kommen. Sie alle sind eingeladen zu kommen und sie kommen auch zu uns.
Es kommen aber auch natürlich viele Berufskraftfahrer, LKW-Fahrer, die direkt mit ihren Riesen-LKW vor der Haustür der Autobahnkirche parken können, die schnell ein Gebet sprechen, für Schutz und Segen beten, für ihre Fahrten, für ihre Lieben zu Hause, die vielleicht auch noch eine Kerze anzünden, um dann auch schon gleich weiter zu fahren auf den Straßen des Lebens.
Gerade auf den Autobahnen erlebt man gefährliche Situationen: Stress, Termindruck, was sich oft auch in aggressivem, manchmal rücksichtslosem Verhalten im Straßenverkehr äußern kann.
Oder es gibt Notsituationen, Schockmomente, Unfall-Erlebnisse; dies alles verlangt eine Rast für die Seele, eine Tankstelle für die Seele. Und so sind alle unsere Autobahnenkirchen äußerst wichtig, um Sehnsucht nach Spiritualität, nach Religiosität in der Anonymität zu stillen.
DOMRADIO.DE: Warum suchen Menschen denn möglicherweise lieber eine Autobahnkirche auf und nicht die in der Stadtmitte oder in der Nachbarschaft?
Strohofer: Das hat unterschiedliche Gründe. Das eine sind natürlich einfach die Öffnungszeiten. Die Autobahnkirchen sind in der Regel Tag und Nacht geöffnet. Sie stehen vor keiner verschlossenen Tür. Das ist mittlerweile bekannt. Außerdem haben viele keinen Bezug mehr zu ihren Ortskirchen.
Wenn ein Fernfahrer beispielsweise am Wochenende heimkommt, hat er am Sonntag in der Regel keine Zeit, in irgendwelche Gottesdienste zu gehen. Da muss man Papierkram erledigen, sich um die Familie, um die Kinder kümmern.
Fernfahrer suchen dann, wenn sie unterwegs sind, eine Kirche auf. Unsere Autobahnkirchen sind "Kirchen unterwegs" für die Menschen, die unterwegs sind.
Wenn wir Pfingsten unsere Truckerfest feiern, das ist unser Dankeschön an alle Fernfahrer, kommt es immer wieder vor, dass sich Trucker und Truckerinnen bei uns trauen lassen, ihre Kinder taufen lassen, weil es vielleicht ihre Bezugskirche ist, weil sie das ganze Jahr unterwegs sind.
DOMRADIO.DE: Sie übertragen manchmal online Ihre Gottesdienste aus der Autobahnkirche. Inwiefern erreichen Sie denn damit auch digital Reisende?
Strohofer: Während des Corona-Lockdowns haben wir gesagt, dass wir nicht alle Gottesdienste ausfallen lassen können. Da haben wir eine Livestream-Anlage eingebaut und haben so von unserem Seelsorge-Bereich alle Sonn- und Feiertags-Gottesdienste übertragen. Die können natürlich auch die LKW-Fahrer überall empfangen.
Da haben wir die fantastischsten Dinge erlebt. Da haben Bekannte beim Oster-Gottesdienst ein Bild von ihrem Oster-Nestchen oder ihrer Osterkerze geschickt. Oder andere haben erzählt, sie hören sich die Gottesdienste danach an, wenn sie in der Badewanne liegen. Ja, warum nicht? Wenn ich dann Zeit habe.
DOMRADIO.DE: Sie betreiben auch den Autohof neben der Autobahnkirche. Da ist mit Tankstelle, Waschanlage und einem Burgerladen dann fürs Auto und auch fürs leibliche Wohl der Fahrer gesorgt. Für Geist und Seele ist dann die Kirche da.
Strohofer: Genau. Es kommt tatsächlich vor, dass man seelsorglich gebraucht wird. Da ruft mich vergangene Woche eine Mitarbeiterin an und sagt, dass da ist ein Fahrer ist, der mich sprechen möchte. Er hat mir dann in der Kirche erzählt, dass sein Vater urplötzlich von heute auf morgen an einem Herzinfarkt gestorben ist. Und er darf nicht heimfahren. Er muss seine Ladung weiter nach Mailand transportieren.
Dann haben wir gebetet, natürlich für den Verstorbenen, dass er gut zu Hause bei Gott ankommt, wir haben für den Trucker gebetet in seiner Not, dass er Trost findet. Wir haben ein Licht angezündet. Und dann konnte er doch einigermaßen getröstet seine Fahrt antreten. Solche Dinge passieren immer wieder.
DOMRADIO.DE: Sehr viele Geschichten könnten Sie uns mit Sicherheit noch erzählen, die Sie in diesen 22 Jahren der Autobahnkirche erlebt haben. Gibt es eine ganz herausragende Sache, bei der Sie sagen, das werde ich niemals vergessen?
Strohofer: Ja, tatsächlich. Unsere Kirche ist an ein großes Hotel-Zentrum angebaut. Manche Menschen müssen durch die Kirche gehen, um in ihren Hotelzimmertrakt zu kommen. Das haben wir extra so gemacht, damit die Leute wieder mal in eine Kirche kommen. Ein Pärchen ist dann mitten in der Nacht in der Autobahnkirche gelandet. Die waren so ergriffen von dem Ort, dass der Mann seiner Frau einen Heiratsantrag gemacht hat.
Die wollten dann hier heiraten. Aber er war aus der Kirche ausgetreten, sie stammt aus den neuen Bundesländern und war ungetauft. Dann ist er wieder in die Kirche eingetreten, sie hat sich taufen lassen, und dann haben sie hier bei uns in der Autobahnkirche geheiratet.
Das Interview führte Dagmar Peters.